Hannover, Osnabrück (epd). Mit Blick auf zu erwartende steigende Corona-Fallzahlen im Herbst haben Experten die Politik zum Handeln aufgerufen. Weltärztechef Frank Ulrich Montgomery forderte einen Anti-Corona-Plan. In einem angepassten Infektionsschutzgesetz müsse „auch die Möglichkeit zu einem Lockdown verankert werden“, sagte der Vorsitzende des Weltärztebundes der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Samstag). Weitere Instrumente umfassten die Pflicht zum Maskentragen im öffentlichen Raum bis zu Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen.
In weiten Teilen der Welt stiegen die Corona-Zahlen wieder, warnte Montgomery. Dies werde auch in Deutschland passieren, wenn es kälter und nasser werde und sich das Leben mehr in die Innenräume verlagere. Zwar seien im Vergleich zu den vergangenen Jahren viele Menschen geimpft oder genesen, aber: „Wir sind noch nicht durch mit der Corona-Pandemie.“
Dem hannoverschen Lungenexperten Tobias Welte zufolge ist der Immunschutz der Bevölkerung gegen eine Covid-Infektion derzeit „besonders gut“. Allerdings habe das Immunsystem infolge der eingeschränkten Kontakte während der Corona-Pandemie nachgelassen, sagte der Mediziner der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (Samstag). „Ich schaue daher eher besorgt auf die nächste Grippesaison - es gibt viele Indikatoren dafür, dass wir in den nächsten ein bis drei Jahren eine besonders starke Grippewelle bekommen könnten.“
Obwohl die Immunabwehr auf einem höheren Level sei, spreche viel für die Notwendigkeit einer vierten Impfung, betonte der Professor der Medizinischen Hochschule Hannover. Er forderte, die Politik dazu auf, sich rechtzeitig auf ein Impfprogramm beispielsweise bei den Hausärzten zu verständigen. So könnte eine vierte Impfung zusammen mit dem Grippeschutz bei einem Termin verabreicht werden. Man müsse zudem darüber reden, wie man die vulnerablen Gruppen etwa in Pflegeheimen schützen könne.
Die Braunschweiger Epidemiologin Berit Lange warnte angesichts zu erwartender steigender Fallzahlen im Herbst vor „erheblichen Unsicherheiten“. Welche Virusvarianten dann vorherrschend seien, was dies für den Anteil der schweren Verläufe bei Nichtgeimpften und Geimpften bedeute und wie stark das Gesundheitssystem belastet werde, sei unklar, sagte die Wissenschaftlerin des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Möglich sei auch, dass es in diesem Jahr wieder eine Grippewelle bei Erwachsenen und eine größere Welle des RS-Virus bei Kindern gäbe, sagte Lange. Auch hinsichtlich der Grippe-Erkrankung könnten Masken, Abstand und Hygiene das Risiko „erheblich“ vermindern. „Die Hauptsache ist, dass wir erkennen, dass unser Gesundheitssystem gut vorbereitet bleiben muss“, unterstrich die Expertin.