Frankfurt a.M. (epd). Der Ukraine-Krieg könnte nach Ansicht von Afrika-Experten das Verhältnis Europas zum Nachbarkontinent neu bestimmen. Bisher hätten europäische Reaktionen auf die Positionierung afrikanischer Staaten in dem Konflikt teils ein Ernstnehmen der südlichen Länder vermissen lassen, war die Einschätzung bei einem Diskussionsforum der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung Hessen am Mittwochabend in Frankfurt am Main.
Es gebe Verbitterung über eine Doppelmoral, erklärte Ulf Terlinden, Leiter des Böll-Stiftungs-Büros in Nairobi, der per Video zugeschaltet war. Für Menschen in afrikanischen Kriegs- und Krisengebieten, wie in Tigray in Äthiopien, sei es nicht nachvollziehbar, dass die Welt dort praktisch tatenlos bleibe „und gleichzeitig erwartet, dass ganz Afrika aufspringt, wenn ein Konflikt in Europa ausbricht“.
Vor allem Kritik am Abstimmungsverhalten der Afrikaner bei der Verurteilung Russlands in der UN-Vollversammlung sei bei manchen afrikanischen Regierungen übel aufgestoßen, sagte Terlinden. Die Gründe für die Enthaltungen seien vielfältig und sie seien zu hinterfragen, statt die Positionierung zu verurteilen, waren sich die Fachleute bei der Diskussionsrunde einig. Dazu zähle auch eine Selbstreflexion der westlichen Haltung.
Eine neutrale Position bei der Abstimmung dürfe auch nicht mit einer moralischen Neutralität in den afrikanischen Ländern gleichgesetzt werden, betonte Antonia Witt von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Eine Erklärung für die politische Enthaltung sei etwa, dass der Konflikt teils stark als einer zwischen West und Ost angesehen werde, in dem Regierungen eine neutrale Position einnehmen wollten.
Auch Boniface Mabanza Bambu von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika verwies auf die Wahrnehmung einer Doppelmoral: Viele fühlten sich nicht respektiert, wenn Länder, die die Kriegskasse Russlands füllten, hart mit afrikanischen Staaten ins Gericht gingen, deren Unterstützung höchstens symbolisch sei. Nichtsdestotrotz gebe es natürlich auch Länder, die in ihrer aktuellen Lage auf eine Kooperation mit Russland setzten, wie etwa Mali.
Zudem habe der Umgang mit Geflüchteten das Verhältnis zu Europa belastet: So sei die erste Solidaritätswelle in Afrika deutlich abgekühlt durch rassistische Vorfälle in der Ukraine und an Grenzen zum Westen. Aus der Ukraine fliehende Afrikaner und Asiaten hatten berichtet, bei der Flucht behindert und diskriminiert worden zu sein. „Hinzu kommt, dass die Art und Weise, wie EU-Länder mit Geflüchteten aus der Ukraine umgehen, deutlich kontrastiert mit dem Umgang mit Geflüchteten aus afrikanischen Ländern“, sagte Mabanza. Das werde registriert.
In dieser Konstellation sei die Frage nach einer integrativen, gleichberechtigten globalen Ordnung umso wichtiger, sagte Witt. Jetzt sei die Gelegenheit, „deutlich zu machen, dass man Doppelstandards entweder nicht hat oder überwinden will“, unterstrich Terlinden.