Washington, Berlin (epd). Angesichts drohender Hungersnöte will Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) in den kommenden Wochen ein neues Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben rufen. Nach Beratungen bei der Weltbank-Frühjahrstagung in Washington am Freitag sagte die Ministerin, ein erstes Startsignal sei gesetzt, nun müssten konkrete Taten folgen. Sie werde im Zuge des deutschen G7-Vorsitzes Staaten und Stiftungen zu einem ersten Treffen am 5. und 6. Mai in Kopenhagen einladen, wo an den Tagen auch der Welternährungsgipfel veranstaltet werde. Es gehe um den „Kampf gegen die drohende schwerste globale Ernährungskrise seit Jahrzehnten“ infolge des Ukraine-Krieges.
Schulze hatte ihren Vorschlag nach Angaben des Ministeriums gemeinsam mit Weltbank-Präsident David Malpass, dem Direktor des Welternährungsprogramms David Beasley und der indonesischen Finanzministerin und G20-Vorsitzenden Sri Mulyani Indrawati vorgestellt. Das Welternährungsprogramm, das Nahrungsmittel zu Hungernden bringt, hatte zuletzt die Hälfte seiner Weizenlieferungen aus der Ukraine bezogen.
Die Ministerin schlägt vor, dass das neue Bündnis eine ähnliche Struktur hat wie die internationale Initiative Act Accelerator (Act-A) zur Beschaffung und weltweiten Verteilung von Diagnostika, Heilmitteln und Impfstoffen gegen Covid-19. Die Weltbank soll eine koordinierende Rolle übernehmen.
Laut dem Agrarexperten Francisco Mari braucht es ein grundsätzliches Umdenken. „Ärmere Länder müssen von Importen unabhängiger werden“, sagte der Referent für Welternährung und Agrarhandel von „Brot für die Welt“ dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Bäuerinnen und Bauern in afrikanischen Ländern sollten jetzt zum Beispiel dabei unterstützt werden, Getreidesorten wie Hirse anzubauen, die dort wachsen.“ Die Europäische Union und die USA hätten in den vergangenen Jahrzehnten viele Entwicklungsländer durch den Export von subventioniertem Weizen „abhängig gemacht“, kritisierte Mari.
Neben Staaten wie den USA, Frankreich und Deutschland zählen auch die Ukraine und Russland zu den größten Weizenlieferanten der Welt. Zuletzt waren die beiden Länder nach Berechnungen der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) für knapp 30 Prozent der globalen Weizenexporte verantwortlich. Vor allem nordafrikanische Länder wie Libyen, Tunesien und Ägypten beziehen einen Großteil ihres Weizens aus der Region. Zuletzt waren die Preise für Weizen stark gestiegen. Mari warnte vor einer Verschärfung der Krise, wenn die Ernte im Herbst in der Ukraine ausfalle, weil jetzt nicht ausgesät werde.
Zwar sei Nothilfe für Länder wie den Libanon oder in Ostafrika nötig, sagte Mari. Aber das UN-Welternährungsprogramm müsse darüber hinaus Länder dabei unterstützen, bei der Versorgung autarker zu werden, etwa indem lokales Saatgut bereitgestellt werde. Das könne auch unmittelbar helfen, denn bei manchen Hirsesorten wie Fonio vergingen von der Aussaat bis zur Ernte drei Monate. Die aktuelle Krise biete auch eine Chance, denn Bäuerinnen und Bauern in afrikanischen Ländern müssten jetzt keine Angst haben, durch billige Weizen-Importe verdrängt zu werden.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind die Preise für Nahrungsmittel laut der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO auf ein Rekordhoch gestiegen. „Wir beobachten eine Preiskrise, von der wir noch nicht wissen, ob sie noch schlimmer wird“, sagte Mari. Hauptverantwortlich seien die hohen Energiekosten, die vor allem den Anbau von Weizen teurer machten, weil die maschinelle Ernte und Verarbeitung viel Energie benötigten. Hinzu komme die Sorge vor Lieferausfällen aus Russland und der Ukraine. Auch Börsenspekulationen spielten eine Rolle, seien aber nicht maßgeblich für die Rekordpreise verantwortlich.