Oldenburg (epd). Im Prozess gegen ehemalige Vorgesetzte des Patientenmörders Niels Högel vor dem Oldenburger Landgericht hat sich der psychologische Gutachter äußerst kritisch zu den Zeugenaussagen des früheren Krankenpflegers geäußert. Högel habe eine ausgeprägte narzisstische Störung und verfüge über eine hohe „Lügenkompetenz“, sagte der Berliner Professor für Aussagenpsychologie, Max Steller, am Freitag. Seine Aussagen könnten leicht als wahr interpretiert werden. Darum müssten alle seine Aussagen mit einem großen Fragezeichen versehen werden (Az.: 5 Ks 20/16).
Die „Selbstwerterhöhung und Selbstdienlichkeit“ seien Högel wichtiger als die Wahrheit, sagte Steller. Er sei in der Lage, Lügen spontan anschaulich und glaubhaft auszugestalten, um sich den Gegebenheiten anzupassen. So habe er auf einige Fragen nur geantwortet, um zu gefallen. Als ein Beispiel erinnerte Steller an eine Frage zu Beginn des Prozesses. Högel wurde gefragt, ob er das Urteil aus seinem Mordprozess aus dem Jahr 2019 gelesen habe und welchen Umfang es habe. Högel antwortete, er habe das rund 20 Seiten starke Urteil intensiv durchgearbeitet. Tatsächlich umfasst das Urteil weit mehr als 100 Seiten.
Bereits in den vorhergehenden Prozessen habe Högel eine dreistufige Strategie verfolgt. Dem anfänglichen Leugnen und Beteuern der Unschuld seien Erinnerungslücken und abschließend das Eingeständnis dessen gefolgt, was aufgrund von Beweisen nicht mehr zu widerlegen gewesen sei. „Über allen steht seine Selbstdarstellungssucht“, unterstrich der Gutachter. „Richtig und umfassend zu gestehen, geht gegen seine Persönlichkeitsstruktur.“
Darum sei es schwer, zwischen wahren Aussagen, unbewussten Falschaussagen etwa aufgrund von Verwechslungen, und gezielten Lügen zu unterscheiden, sagte Steller. Schließlich müsse die ungewöhnliche Situation des Verfahrens bedacht werden: Mit jedem Eingeständnis könne Högel seine angeklagten Vorgesetzen belasten.
Vor Gericht stehen sieben frühere Vorgesetzte Högels. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hätten sie dessen Mordtaten mit an „Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindern können. Ihnen sei von bestimmten Zeitpunkten an klar gewesen, dass von Högel eine Gefahr für die Patienten ausgehe. Zur Verhandlung stehen drei Tötungsdelikte in Oldenburg und fünf in Delmenhorst.
Unter den Angeklagten sind Ärzte, Verantwortliche aus der Pflege und ein früherer Geschäftsführer. Ihnen wird Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Der Ex-Krankenpfleger Högel war am 6. Juni 2019 vom Oldenburger Landgericht zu einer lebenslangen Haft wegen 85 Morden verurteilt worden. Er hatte Patienten mit Medikamenten vergiftet, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er als Lebensretter glänzen. Der Prozess wird am 21. April mit der Zeugenaussage des Chefermittlers Arne Schmidt fortgesetzt.