Staaten ringen um Verteilung von Flüchtlingen

Staaten ringen um Verteilung von Flüchtlingen
Immer mehr Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine, vor allem in die Anrainerstaaten. Auch Deutschland habe eine "gewaltige Aufgabe" vor sich, sagt Kanzler Scholz. Am Donnerstag wollen die Staaten in Brüssel über eine faire Verteilung beraten.

Berlin (epd). Vor dem Hintergrund der immer größer werdenden Fluchtbewegung aus der Ukraine dringt Deutschland auf eine bessere Verteilung der Schutzsuchenden in der Europäischen Union und dem Staatenbündnis G7. Die Vereinten Nationen schätzten, dass in den kommenden Wochen acht Millionen Schutzsuchende aus der Ukraine kommen, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Mittwoch im Bundestag. Wenn Familien nicht auf der Straße schlafen sollten, „dann müssen wir jetzt europaweit und über den Atlantik gemeinsam verteilen“, sagte sie. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte im Bundestag: „Praktisch stehen wir vor einer gewaltigen Aufgabe.“ Am Donnerstag wird er um internationale Unterstützung bei der Bewältigung werben.

Das Thema Flüchtlinge steht auch auf der Tagesordnung, wenn es am Donnerstag zu einem historischen Gipfeltag in Brüssel kommt. Einen Monat nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine treffen sich dort die Staats- und Regierungschefs der Nato, der EU und der G7, zu denen neben Deutschland Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die USA und Großbritannien gehören. Deutschland hat derzeit den G7-Vorsitz.

Wie am Mittwoch aus Regierungskreisen verlautete, soll es beim G7-Treffen eine Selbstverpflichtung der Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen geben. Wie konkret und verbindlich die Abschlusserklärung in dem Punkt ausfallen wird, ist noch offen. Baerbock erläuterte im Bundestag, die Menschen aus der Ukraine hätten das Recht in europäische Länder einzureisen, aber nach derzeitigen Stand könnten sie nicht ohne Visum in die USA, Kanada oder nach Großbritannien. „Das ist jetzt aber unsere gemeinsame Aufgabe“, sagte sie. Per Videokonferenz kommen am Donnerstag zudem die G7-Innenministerinnen und -minister unter deutscher Leitung zusammen.

Auch beim EU-Gipfel soll es nach Angaben aus Regierungskreisen ein Zeichen der Solidarität für die Anrainerstaaten der Ukraine geben, in denen die Situation immer schwieriger werde. Von den mehr als 3,6 Millionen Menschen, die die Ukraine seit Kriegsbeginn verlassen haben, werden nach Angaben des UNHCR mehr als 2,1 Millionen in Polen, rund 550.000 in Rumänien, 370.000 in Moldau versorgt. Deutschland hat bislang nach Angaben des Bundesinnenministeriums knapp 240.000 Ukraine-Flüchtlinge gezählt. Baerbock hatte Moldau zugesagt, Flüchtlinge nach Deutschland zu übernehmen. Für Freitag oder Samstag kündigte sie einen ersten entsprechenden Flug nach Rheinland-Pfalz an.

Offen ist, ob sich die Staats- und Regierungschefs der EU schon jetzt auf verbindliche Verteilquoten einigen. Dies gestalte sich praktisch schwierig, weil Menschen mit ukrainischem Pass ohne Visum einreisen und sich 90 Tage frei bewegen können, hieß es aus Regierungskreisen. Feste Schlüssel seien derzeit kaum umsetzbar.

Spätestens nach Ablauf der Frist sollen Ukrainer einen vorübergehenden Schutz in allen EU-Staaten erhalten. Die EU-Kommission veröffentlichte dazu am Mittwoch Leitlinien, die gemeinsame Standards etwa bei Bildung, Gesundheit, Unterkunft und Arbeit gewährleisten sollen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant für die kommende Woche ein Treffen von Gewerkschaften, Wirtschaft und Vertretern des Staates, um sich über die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt auszutauschen.

Derweil reißen auch die Forderungen nach einem nationalen Flüchtlingsgipfel in Deutschland nicht ab, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Mittwoch erneut zunächst ablehnte. „Wir müssen dort eine gemeinsame Sicht auf die Lage entwickeln, um möglichst gute Vereinbarungen zu treffen über eine sinnvolle Verteilung und Finanzierung“, sagte Diakoniepräsident Ulrich Lilie der Zeitung „Die Welt“ (Mittwoch).

Unterstützung bekam er aus der Opposition im Bundestag. Deutschland brauche einen nationalen Krisenstab, in dem Bund, Länder und Kommunen die vielen Fragen von der Registrierung und Verteilung, Integration bis hin zur Behandlung von Kriegsverletzten zentral bearbeiten müsse, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU). Es sei „absurd“, die nationale Koordination zu verweigern.