Kassel (epd). Psychisch kranke Menschen können für in einem krankhaften Wahnanfall auf die Straße gestellte Möbel und Hausrat von der Sozialhilfe einen Zuschuss für die Neueinrichtung erhalten. Solch ein außergewöhnlicher Krankheitsschub stellt einen außergewöhnlichen Umstand dar, vergleichbar mit einem Wohnungsbrand, der eine Ersatzbeschaffung nach dem Willen des Gesetzgebers begründet, urteilte am Mittwoch das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. (AZ: B 8 SO 14/20 R)
Im konkreten Fall ging es um psychisch kranke Frau aus Freiburg, die an einer paranoiden Schizophrenie verbunden mit Wahnvorstellungen leidet. Während eines akuten Krankheitsschubs war sie davon überzeugt, dass ihr Hausrat „verflucht“ oder „vergiftet“ sei. Sie entsorgte deshalb ihre voll funktionsfähigen Möbel und ihren Hausrat auf der Straße. Nach mehreren Aufenthalten in der Psychiatrie bezog sie anschließend eine neue Wohnung und beantragte bei der Stadt Freiburg eine finanzielle Beihilfe für eine Wohnungserstausstattung.
Doch die Kommune lehnte das ab. Zwar sei auch eine Ersatzbeschaffung auf Kosten der Sozialhilfe möglich. Das setze aber ein besonderes Ereignis und von außen wirkende, plötzlich auftretende Umstände voraus, die das Mobiliar unbrauchbar gemacht hätten, so die Begründung. Der Krankheitsschub der Frau sei aber ein von innen wirkendes Ereignis. Auch das BSG habe am 6. August 2014 geurteilt, dass ein Drogenabhängiger für einen krankheitsbedingt erhöhten Verschleiß seiner Möbel keine Ersatzbeschaffung verlangen könne. (AZ: B 4 AS 57/13 R)
Die Kasseler Richter sprachen der Frau die geforderte Erstausstattungsbeihilfe in Höhe von 771 Euro zu. Eine Ersatzbeschaffung komme ausnahmsweise infrage, wenn wegen eines außergewöhnlichen, plötzlich auftretenden Umstandes die Einrichtungsgegenstände unbrauchbar geworden sind, wie etwa durch Feuer in der Wohnung.
Bei dem erheblichen Krankheitsschub der Klägerin habe es sich ebenfalls um einen außergewöhnlichen Umstand gehandelt. Die Einrichtungsgegenstände seien nicht wegen Verschleiß unbrauchbar geworden. Ein Ansparen für neue Möbel aus dem Regelsatz sei der Klägerin nicht möglich gewesen, befand das Gericht.