Gütersloh, Witten (epd). Führungskräfte in Deutschland sind einer Umfrage zufolge gespalten, wenn es um verpflichtende Vorgaben zur Gleichstellung der Geschlechter in der Privatwirtschaft geht. Etwa 30 bis 40 Prozent von rund 1.000 befragten Chefinnen und Chefs sehen im eigenen Unternehmen keine Vorteile, wenn es um die Einführung verbindlicher Regeln wie Frauenquote oder gendergerechte Sprache geht, wie eine am Donnerstag veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Reinhard-Mohn-Institut an der Universität Witten/Herdecke ergab. So falle die Beurteilung der aktuellen Lage zur Gleichstellung in ihren Firmen meist auch sehr positiv aus.
Überraschenderweise nähmen weibliche und männliche Führungskräfte in Deutschland die Themen ähnlich wahr, auch wenn Statistiken zur Lohnlücke zwischen Männern und Frauen das Gegenteil zeigen, hieß es. Diese „augenscheinliche Kluft“ zwischen den öffentlichen Diskursen und der Wahrnehmung in den oberen Firmenetagen bedürfe einer Überprüfung und Klärung, sagte Martin Spilker, Experte für Unternehmenskultur und Führung bei der Bertelsmann Stiftung. „Der Gesetzgeber hat zum Beispiel mit dem Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz den Beteiligten in den Unternehmen ein Instrument an die Hand gegeben, Arbeit und Arbeitsplätze von Männern und Frauen bewerten zu lassen und Ungleichbehandlungen offen zu legen.“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezweifelt ebenfalls, dass die Haltung der Führungskräfte zur Quote die betriebliche Wirklichkeit widerspiegele. „Bekannt ist überdies, dass Probleme, etwa das der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aus der Sicht von Unternehmen, Personalverantwortlichen und Führungskräften in der Regel anders wahrgenommen werden als von Beschäftigten“, erklärte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Verantwortliche in Unternehmen sollten sich die betrieblichen Maßnahmen nicht schönreden, sondern tatsächlich gute betriebliche Praxis schaffen. Es sei bewiesen, dass in Unternehmen mit Quote mehr Frauen in Führungspositionen aufgestiegen seien.
Für den „Führungskräfte-Radar“ befragte das beauftragte Hamburger Marktforschungsinstitut Ipsos im vergangenen Mai 1.026 Menschen auf allen Führungsebenen von großen bis kleinen Unternehmen. Davon waren etwa gleich viele Männer (49,8 Prozent) wie Frauen (50,2 Prozent), der Altersdurchschnitt lag bei 46,6 Jahren.
Demnach scheint ein gutes Drittel der Führungskräfte (34,9 Prozent) den Eindruck zu haben, dass von außen vorgegebene Regeln oder gar Gesetze nicht nötig beziehungsweise nicht zielführend sind. 39,7 Prozent sahen das nicht so. Zudem erklärte fast jede zweite Befragte (45,6 Prozent), bewusst auf Diversität bei der Teambesetzung zu achten. Knapp 30 Prozent hatten keine Vorgaben dazu im Unternehmen. Beim Thema gendergerechte Sprache gaben laut Studie 39,8 Prozent der Führungskräfte an, dass ihr Unternehmen entsprechende Vorgaben macht. 41,9 Prozent verneinten das.
Eine sehr deutliche Mehrheit vertritt den Angaben zufolge die Ansicht, dass in ihrem jeweiligen Unternehmen das Geschlecht der Führungskraft keinen Unterschied macht (74,4 Prozent). 80,1 Prozent der Befragten erklärte, keine Geschlechterkonflikte zu erleben. 70,1 Prozent zeigten sich zudem überzeugt, dass in ihrem Betrieb Diskriminierung von Frauen bei Einstellungen oder Beförderungen effektiv verhindert werde. Drei Viertel (76,7 Prozent) stimmten der Aussage zu, dass im Unternehmen das Gehalt unabhängig vom Geschlecht sei - und das, obwohl das Statistische Bundesamt für das Jahr 2020 einen Gehaltsnachteil der Frauen von 18 Prozent gegenüber Männern ermittelt hatte.
Bemerkenswert an den Ergebnissen des Führungskräfte-Radars sei, dass es keine analytisch nennenswerten Unterschiede zwischen den Antworten männlicher und weiblicher Führungskräfte gebe, erklärten die Studien-Autoren. Sie hätten erwartet, dass Frauen die Verhältnisse in ihren Unternehmen negativer erlebten. Dies sei aber nicht zu erkennen.