TV-Tipp: "Muttertag – Ein Taunuskrimi"

Alter Röhrenfernseher steht vor Wand
© Getty Images/iStockphoto/vicnt
14. Februar, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Muttertag – Ein Taunuskrimi"
An einem wunderschönen Sonntag im Mai 1981 hat Rita Reifenrath ihre Schutzbefohlenen auf der Wiese vor dem schlossähnlichen Kinderheim zum Muttertag versammelt, doch das Fest endet grausig: Die 15-jährige Nachbartochter Nora ist im See ertrunken; offenbar ein Unfall. Niemand weiß, dass das Mädchen ermordet worden ist; außer dem Täter natürlich.

Der ist zwar selbst noch ein Kind, aber auch Mörder haben mal klein angefangen. "Muttertag" ist der neunte "Taunuskrimi" des ZDF nach einem Roman von Nele Neuhaus. Nach qualitativ passablem Start  (2013) haben sich die Filme auch dank der Regie von Marcus O. Rosenmüller zu einer fesselnden Thrillerreihe entwickelt. Die Adaption der Romane hat zumeist Anna Tebbe besorgt, wie sich die Produzentin Annette Reeker als Autorin nennt. Damit ist nun Schluss, denn nach dem letzten Film ("Im Wald", 2018) hat Neuhaus die Filmrechte an die UFA vergeben, und das ist nicht die einzige Änderung: Annika Kuhl hat von Felicitas Woll die weibliche Hauptrolle übernommen. Tim Bergmann ist der Reihe ebenso wie einige weitere Mitglieder der Kripo Hofheim im Taunus erhalten geblieben; in der Sat.1-Reihe "Ein Fall für Dr. Abel" ist Kuhl seine Filmpartnerin.

Während Rosenmüller viel Wert auf Spannung legte, ist Felix Herzogenraths Inszenierung deutlich kunstvoller. Die Bildgestaltung wirkt in ihrer Eleganz mitunter regelrecht anmutig. Das ästhetische Konzept, das der Regisseur gemeinsam mit Kameramann Felix Poplawsky erarbeitet hat, lässt "Muttertag" deutlich aus dem Krimidurchschnitt herausragen. Mit beinahe jedem Szenenwechsel ist dank der Farbgebung eine neue Atmosphäre verbunden: Die düsteren Innenaufnahmen des Heims vermitteln eine Stimmung wie tief unter Wasser; die Rückblenden beim Ehemaligentreffen an Ritas letztem Muttertag im Jahr 1995 sind in ein unheilvoll vernebeltes Grün getaucht. Auf dem gleichen preiswürdigen Niveau bewegt sich die facettenreiche Musik von Christine Aufderhaar, die ständig für eine mindestens hintergründige, oft aber auch sehr zupackende Spannung sorgt.

Trotzdem lebt der Film letztlich natürlich von der Geschichte, die dramaturgisch zudem vorzüglich konzipiert ist. Auf die Bilder der jenseitig schönen Anfangssequenz folgt die triste Gegenwart. Das Haus, in dem Rita damals mit ihrer Kinderschar gelebt hat, ist heruntergekommen. Am Fuß der Treppe liegt der Hausherr, Theo Reifenrath, offenbar schon vor Tagen zu Tode gestürzt, und hätte er keinen Hund gehabt, wäre die Mordserie womöglich nie entdeckt worden. Als Pia Sander (Kuhl) das dehydrierte Tier befreien will, entdeckt sie eine Hand: Unter der Betonplatte, die den Boden des Zwingers bildet, liegen drei weibliche Leichen. Die Frauen sind alle auf die gleiche Weise getötet worden. Archivrecherchen führen zu weiteren Fällen: Irgendjemand entführt und ermordet offenbar an jedem Muttertag eine Frau. Die Spuren führen immer wieder ins Haus des Ehepaars Reifenrath, das bis zum vermeintlichen Suizid von Rita für viele Kinder ein neues Zuhause war. 

Selbstredend ist die vermeintliche Idylle aus der Anfangssequenz des Films trügerisch, und das nicht nur, weil an diesem Tag der spätere Serienmörder geboren worden ist, wie es ein Fallanalytiker formuliert. Die Heimleiterin entpuppt sich als furchtbare Frau, die ihre Schutzbefohlenen schon für geringfügige Vergehen grausam bestraft hat. Schon allein diese "Erziehungs"-Methoden würden im Horror- und Thriller normalerweise genügen, um ein vermeintlich unschuldiges Kind auf die dunkle Seite wechseln zu lassen, aber Neuhaus und mit ihr Drehbuchautorin Annika Tepelmann bieten sogar eine noch plausiblere Erklärung für die Mordserie an. Dass Imogen Kogge bereit war, diese kleine, aber in den Rückblenden sehr dominante Rolle zu übernehmen, ist bloß einer von gleich mehreren Besetzungscoups. Für die Figur des grimmigen Trinkers Theo Reifenrath, der meist bloß teilnahmslos vor sich hin stiert, bis er maßgeblich in die Handlung eingreift, konnten die Verantwortlichen Thomas Thieme gewinnen. Noch seltener spricht nur der dritte Gaststar: Harald Krassnitzer hat sichtliches Vergnügen an seinem Fallanalytiker, der bloß drei Sätze von sich gibt; aber die haben es in sich. 

Viele Reihenkrimis verlieren an Spannung, weil die Besetzung prominenter Mitwirkender ein untrüglicher Hinweis darauf ist, wen das Publikum im Auge behalten sollte. Das ist bei "Muttertag" zum Glück anders, denn mit Andreas Lust, Max Hopp und Cornelius Obonya bietet der Film gleich drei Verdächtige an. Die Rollen sind zudem mehr als bloß die üblichen Klischeefiguren, zumal die drei Schauspieler den Männern ganz unterschiedliche Abgründigkeiten verleihen. Die clevere Struktur des Zweiteilers (Teil zwei folgt am Mittwoch) mit seinen vielen Rückblenden führt gleich mehrfach zu Gänsehautmomenten, die anders als sonst in diesem Genre nicht aus Schockmomenten resultieren, sondern aus dem Bild, das sich ergibt, wenn Sander und Bodenstein wieder einen Teil des Puzzles zusammensetzen.

Umso bedauerlicher, dass Herzogenrath viel zu früh verrät, wer für die Mordserie verantwortlich ist, weil die Musketiermaskerade des Killers zumindest für Krimifans zu leicht als solche zu erkennen ist. Der letzte Film des Regisseurs spielte ebenfalls in der Provinz: "Das Lied des toten Mädchens" (ARD, 2021) war ein in mystische Bilder getauchter Thriller über ein Journalistenduo, das einen 25 Jahre alten Mordfall im Sauerland aufrollt.