Experte: Mehr Geld für Kampf gegen Genitalverstümmelung notwendig

Experte: Mehr Geld für Kampf gegen Genitalverstümmelung notwendig
Behandlung von Komplikationen kostet jährlich 1,4 Milliarden Dollar
Jedes Jahr erleiden vier Millionen Mädchen und Frauen die Verstümmelung ihrer Genitalien. Die Weltgemeinschaft will diesen brutalen Eingriff bis 2030 ausrotten. Doch Geld dafür fehlt.

Frankfurt a.M. (epd). Für den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung braucht es dem Geschäftsführer der Stiftung Weltbevölkerung, Jan Kreutzberg, zufolge deutlich mehr Geld. „Die Corona-Pandemie hat viele Fortschritte zunichtegemacht“, sagte der Entwicklungsexperte dem Evangelischen Pressedienst (epd). Insgesamt 2,1 Milliarden US-Dollar seien nötig, um die menschenverachtende Praxis wie von der Weltgemeinschaft vereinbart bis 2030 abzuschaffen. „Genitalverstümmelung ist kein vernachlässigbares Phänomen“, betonte Kreutzberg. „Es gibt derzeit 200 Millionen Frauen, die damit leben, das sind fünf Prozent der weiblichen Weltbevölkerung.“ Am 6. Februar wird der Internationale Tag gegen Genitalverstümmelung begangen.

Einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge, die am Donnerstag vorgestellt wurde, kostet die medizinische Hilfe für Frauen, die unter den Folgen der Genitalverstümmelung leiden, jedes Jahr mindestens 1,4 Milliarden US-Dollar. Aufgrund des Bevölkerungswachstums könnten diese Kosten bis 2047 auf bis zu 2,1 Milliarden Dollar steigen. Sollte künftig keine Genitalverstümmelung mehr praktiziert werden, würden die Kosten auf 0,8 Milliarden pro Jahr sinken.

Jedes Jahr werden laut UN etwa vier Millionen Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt, mit gravierenden gesundheitlichen und psychischen Folgen. Aufgrund der Pandemie könne die Zahl jährlich um eine Viertelmillion zunehmen.

Es werde viel mehr Geld für Aufklärungsarbeit gebraucht, sagte Kreutzberg. Aber auch, um jungen Frauen und Müttern Bildung und damit eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit zu ermöglichen. „Denn das Bildungsniveau vor allem der Mütter hat erheblichen Einfluss darauf, ob ihre Töchter einer Genitalverstümmelung unterzogen werden oder nicht“, erklärte er.

Die Corona-Schulschließungen hätten die Bildungschancen vieler Mädchen erheblich verschlechtert. „Außerdem hat ein gewisser Kontrollmechanismus durch Lehrer und Mitschüler gefehlt“, erläuterte Kreutzberg. Die Eltern konnten die Mädchen so dem traditionellen Ritual heimlich unterziehen.

Laut dieser Tradition, die nicht einzelnen Ethnien oder Religionen zuzuordnen ist, ist eine junge Frau oft erst heiratsfähig, wenn sie an den Genitalien verstümmelt ist. Durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen sind Familien Kreutzberg zufolge noch mehr darauf angewiesen, ihre Töchter früh zu verheiraten, um ein Mitglied weniger versorgen zu müssen. „Deshalb nehmen Genitalverstümmelungen während der Pandemie genauso zu wie Frühverheiratungen.“

Dabei entstehen für Mädchen und junge Frauen erhebliche Gefahren von Blutverlust, Infektionen, langfristigen Traumata, Geburtskomplikationen bis hin zum Tod. Die WHO-Studie verweist darauf, dass Genitalverstümmelung meist in Ländern mit schwachen Gesundheitssystemen praktiziert wird. Eine Abkehr von dieser Tradition würde den Gesundheitssektor im jeweiligen Land erheblich entlasten. Medizinisches Personal sei zugleich entscheidend bei der Aufklärung und der Vermeidung von Genitalverstümmelung.

Die Autorinnen und Autoren der Studie haben für ihre Berechnung Daten aus 27 Ländern ausgewertet, in denen in den vergangenen 30 Jahren Genitalverstümmelung weit verbreitet war. 24 Länder liegen in Afrika, die anderen sind Dschibuti, Irak und der Jemen.