Berlin (epd). In Deutschland ist am Holocaust-Gedenktag an zahlreichen Orten der Millionen Opfer des NS-Terrors gedacht und zum Kampf gegen Antisemitismus aufgerufen worden. In der Gedenkstunde des Bundestages am Donnerstag in Berlin schilderte die Zeitzeugin Inge Auerbacher, wie sie als Kind die Gräuel überlebte. Sie war als siebenjähriges Mädchen in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert worden.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) rief dazu auf, sich der heutigen Judenfeindlichkeit zu stellen. Sie sagte in ihrer Eröffnungsrede im Bundestag, Antisemitismus sei ein Problem der ganzen Gesellschaft und unterstrich: „Antisemitismus ist nicht hinnehmbar.“ Ausdrücklich plädierte sie für „Mut zur Intoleranz“ gegenüber denjenigen, die zu Hass aufstacheln und die Verbrechen der Nazis relativieren.
Die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher rief zur Erinnerung und zur Versöhnung auf. „Die Vergangenheit darf nie vergessen werden“, mahnte sie. Judenhass sei in vielen Ländern der Welt und auch in Deutschland wieder alltäglich: „Diese Krankheit muss so schnell wie möglich geheilt werden.“ Ihr innigster Wunsch sei die Versöhnung aller Menschen, sagte die 84-Jährige, die in einer persönlichen und bewegenden Ansprache ihre eigene Verfolgung als Kind schilderte.
Die US-Amerikanerin gehört zu den wenigen Überlebenden von Tausenden Menschen, die aus Stuttgart in die Konzentrations- und Vernichtungslager im Osten deportiert wurden. Sie wuchs bei Göppingen auf und wurde 1942 als Siebenjährige mit ihren Eltern in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. 20 Mitglieder ihrer Familie wurden von den Nazis ermordet. Auerbacher machte es sich zur Aufgabe, Kindern und Jugendlichen von ihrem Überleben zu berichten.
Der Präsident des israelischen Parlaments, Mickey Levy, würdigte Auerbachs Engagement als Zeitzeugin. Es gelte, das Andenken an die Opfer des NS-Regimes wachzuhalten und die Demokratie zu verteidigen, sagte er im Bundestag und betonte die enge Verbindung und die gemeinsamen Werte von Deutschland und Israel.
Der Bundestag erinnert seit 1996 jedes Jahr mit einer eigenen Veranstaltung an die Opfer des Nationalsozialismus. Sie findet am oder um den Holocaust-Gedenktag statt, dem Jahrestag der Befreiung des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945. In Auschwitz sind mehr als eine Million Menschen ermordet worden. An der Gedenkstunde nehmen traditionell die Spitzen aller Verfassungsorgane teil. Zuvor hatten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Knesset-Präsident Levy Kränze am Berliner Holocaust-Mahnmal niedergelegt.
Auch an anderen Orten in Deutschland wurde mit Gedenkveranstaltungen, Kranzniederlegungen und Gottesdiensten an die Opfer der NS-Judenvernichtung erinnert. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, forderte bei einer Gedenkstunde im Düsseldorfer Landtag ein schärferes Vorgehen gegen den Antisemitismus. Er sei so verbreitet wie seit 75 Jahren nicht mehr, sagte er. Ähnlich äußerte sich die frühere Präsidentin des Zentralrats, Charlotte Knobloch: „Der Judenhass ist schneller gewachsen als das jüdische Leben“, sagte sie im Saarbrücker Landtag.
Die Ministerinnen und Minister der Bundesregierung sowie zahlreiche Politikerinnen und Politiker erinnerten im Rahmen der Kampagne „WeRemember“ des Jüdischen Weltkongresses an die Opfer des NS-Terrors und erklärten auf Twitter, es sei die Pflicht Deutschlands, jedem Antisemitismus, Hass und Rassismus entgegenzutreten. Die Publizistin Marina Weisband, die 2021 im Bundestag gesprochen hatte, sagte im RBB-Inforadio, wenn es künftig keine Zeitzeugen mehr gebe, trage der internationale Holocaust-Gedenktag dazu bei, sich der Wahrheit zu stellen, „dass Menschen andere Menschen in industriellem Maße vernichten konnten.“