Potsdam (epd). Im Mordprozess gegen eine frühere Mitarbeiterin des Potsdamer Oberlinhauses hat die forensisch-psychiatrische Gutachterin eine Unterbringung der Angeklagten im Maßregelvollzug empfohlen. Die 52-Jährige, der die Tötung von vier Schwerstbehinderten vorgeworfen wird, befinde sich in einer anhaltenden schweren Krise, in der ohne intensive Behandlung weitere Gewalt gegen sich selbst und andere zu erwarten sei, sagte die Berliner Psychiatrie-Fachärztin Cornelia Mikolaiczyk am Donnerstag in Potsdam. Die Gutachterin diagnostizierte bei der Angeklagten eine schwere emotionale Persönlichkeitsstörung aus dem Borderline-Bereich, begleitet von Medikamentenmissbrauch. (AZ: 21 Ks 6/21)
Im Maßregelvollzug werden psychisch schwer kranke Straftäter untergebracht, die als schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gelten. Dort soll sowohl eine Therapie der Straftäter möglich gemacht werden, als auch die Öffentlichkeit vor ihnen geschützt werden.
„Unzweifelhaft ist die Störung klinisch relevant“, sagte Mikolaiczyk. Es liege jedoch keine Schizophrenie vor. Die Angeklagte blicke auf eine lange Geschichte von Gewaltfantasien zurück, die sich unter anderem gegen ihren behinderten Sohn, ihre Mutter und auch gegen Bewohnerinnen und Bewohner der Behinderteneinrichtung gerichtet hätten, in der sie gearbeitet hat. Sie habe langjährig und auch am Tattag hoch dosiert starke Medikamente genommen.
In der psychiatrischen Einrichtung, in der sie nach den Gewalttaten vom 28. April untergebracht wurde, sei sie in den zurückliegenden Monaten länger wegen Aggressionen gegen sich selbst und andere und auch wegen Suizidgefahr in einem vom Personal einsehbaren Kriseninterventionsraum untergebracht gewesen, sagte die Gutachterin. Die schwerwiegende Krise ihrer Erkrankung sei noch lange nicht überwunden. Sie habe mit der Tat eine Grenze überschritten, zu dieser Tragik gehöre auch, dass sie nun nichts mehr zu verlieren habe und weitere Gewalt drohe.
Die Angeklagte habe trotz langjähriger Therapie keine Stabilität erreicht, sagte Mikolaiczyk. Das Tatgeschehen stehe in „eindeutigem Kausalzusammenhang“ mit ihrer Persönlichkeitsstörung. Neben der von ihr selbst benannten Arbeitsbelastung hätten „innere Faktoren“ eine Rolle gespielt. Ihre jahrzehntelangen Tötungsfantasien seien Ausdruck davon, ihre eigenen Aggressionen nicht angemessen steuern zu können. Den Gewalttaten sei wenige Tage davor ein weiterer Tötungsversuch im Oberlinhaus vorangegangen. „Da muss noch viel passieren“, sagte die Gutachterin.
Die Staatsanwaltschaft geht in dem Fall von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten aus. Die Frau wurde noch in der Tatnacht festgenommen und dann in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter kündigte am Donnerstag zu Beginn der Verhandlung an, dass auch eine Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen infrage komme.
Die angeklagte langjährige Pflegekraft galt im Oberlinhaus als warmherzige und den behinderten Bewohnerinnen und Bewohnern zugewandte Mitarbeiterin. Das Sozialunternehmen hat vor wenigen Wochen den 150. Gründungstag seines Trägervereins begangen.