Frankfurt a.M. (epd). Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen haben sich in Deutschland seit Anfang Dezember flächendeckend deutlich ausgeweitet. Sowohl bei der Anzahl der Demonstrationen als auch bei der Teilnehmerzahl verzeichnen nahezu alle Bundesländer einen Anstieg bis hin zu einer Verdreifachung, wie aus einer Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den zuständigen Behörden hervorgeht. Einige Länder meldeten zudem ein aggressiveres Auftreten von Demonstranten sowie einen Anstieg von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty warnte vor starken rechtsextremen Strukturen.
„Häufig gibt es die Vorstellung, das seien bürgerliche Proteste, unter die sich einige Rechte gemischt haben“, sagte Lamberty dem epd. „Das ist verkehrt.“ Die Menschen, die nun auf die Straße gingen, wüssten, worauf sie sich einließen: Der Antisemitismus, die rechtsextremen Strukturen, die teils menschenverachtenden Parolen seien bekannt. Mit der möglichen Einführung einer allgemeinen Impfpflicht erwarte sie mehr Gewalt, sagte die Geschäftsführerin des Berliner Center für Monitoring, Analyse und Strategie. Sie sprach sich für stärkere staatliche Repressionen etwa bei der Verbreitung von Hetze und menschenverachtenden Inhalten aus.
Eine spürbare Zunahme der Proteste beobachteten die Behörden der epd-Umfrage zufolge in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, im Saarland, sowie in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Ein Schwerpunkt war Mitteldeutschland. In Sachsen wurden seit Monatsbeginn laut Innenministerium bei 250 Versammlungen fast 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezählt. In Thüringen beteiligten sich am Montag bis zu 6.000 Menschen.
Das Innenministerium in Düsseldorf sprach von einer „Trendumkehr“ mit stark steigender Teilnehmerzahl bei den Aufmärschen. Auch Bayern verzeichnete eine deutliche Ausweitung seit Ende November. Aus Sachsen-Anhalt hieß es, die Zunahme stehe offenbar in Zusammenhang mit der Debatte über eine allgemeine Impfpflicht. Lediglich die Berliner Polizei erklärte, vermehrte Demonstrationen seien in der Hauptstadt seit Anfang Dezember bisher nicht festzustellen; aus Bremen lagen keine Angaben vor. Am 2. Dezember hatten Bund und Länder angesichts hoher Infektionszahlen bundesweit schärfere Corona-Regeln vor allem für Ungeimpfte beschlossen.
In Cottbus in Brandenburg verdreifachte sich binnen einer Woche die Zahl der Protestierenden von bis zu 1.100 auf etwa 3.500. In Hamburg waren es laut Innenbehörde rund 5.000 Demonstranten am letzten November- und rund 8.000 am ersten Dezember-Wochenende. In Mecklenburg-Vorpommern wurden bei Montags-Demonstrationen am 29. November noch etwa 1.400 Teilnehmer gezählt und eine Woche darauf bereits etwa 3.400. In München gingen am Mittwochabend rund 3.700 Menschen auf die Straße, es gab 28 Festnahmen, unter anderem wegen Beleidigungen und Körperverletzungen.
Über ein zunehmend aggressives und zum Teil gewaltbereites Verhalten von Demonstranten berichteten mehrere Bundesländer. Aus Nordrhein-Westfalen hieß es, es seien verstärkt „verfassungsfeindliche und sicherheitsgefährdende Tendenzen“ erkennbar. Teilweise würden auch Gewalt befürwortet und „rechtsextremistische Narrative geprägt“. Mecklenburg-Vorpommern erklärte, dass zunehmend Personen aus der rechten bis rechtsextremistischen Szene „das Thema Corona und die Ängste der Bürgerinnen und Bürger nutzen, um ihre Ideologie und Aggressionen zu verbreiten“. Das bayerische Innenministerium sprach von einer deutlich stärkeren „Emotionalisierung“ seit Ende November.
In vielen Bundesländern kam es bei Protestaktionen vermehrt zu Ordnungswidrigkeiten und zum Teil auch zu Straftaten wie Beleidigungen und körperlichen Angriffen. Die Verstöße richteten sich zumeist gegen Corona-Regeln wie Mindestabstand oder Maskenpflicht sowie gegen das Versammlungsgesetz, indem etwa Veranstaltungen nicht angemeldet wurden. Vereinzelt wurden auch Menschen verletzt, etwa in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Berlin. Die meisten Demonstrationen verliefen nach Angaben der Behörden jedoch überwiegend friedlich.