Karlsruhe (epd). Die bundesweite Corona-Notbremse mit ihren massiven Grundrechtseinschränkungen war laut Bundesverfassungsgericht zur Eindämmung der Pandemie verhältnismäßig und verfassungsgemäß. Der Staat dürfe zum Gesundheits- und Lebensschutz der Bevölkerung und zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems - alles „überragend wichtige Gemeinwohlbelange“ - sowohl Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen als auch Schulschließungen veranlassen, entschieden die Karlsruher Richter in zwei am Dienstag veröffentlichten Beschlüssen. (AZ: 1 BvR 781/21, 1 BvR 971/21 und weitere) Die Verfassungsrichter betonten, dass die Grundrechtseingriffe mit Ausnahmeregelungen abgemildert worden seien.
Konkret ging es um das am 23. April 2021 in Kraft getretene und bis Ende Juni 2021 ausgelaufene „Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, die sogenannte Bundesnotbremse. Da die Infektionszahlen mit dem Sars-CoV-2-Virus drastisch zunahmen und das Gesundheitssystem erheblich belastet wurde, erließ der Gesetzgeber erstmals in der Geschichte Deutschlands weitgehende Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie Schulschließungen, um Ansteckungen zu vermeiden.
Bei einer Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner über einen Zeitraum von sieben Tagen waren etwa private Kontakte nur zwischen einem Haushalt und einer weiteren Person erlaubt. Von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr gab es Ausgangsbeschränkungen. Lag die Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 165, durfte an Schulen kein Präsenzunterricht stattfinden. Das Gesetz regelte auch zahlreiche Ausnahmen. So war Präsenzunterricht in der Schule für Abschlussklassen möglich. Auch das Umgangs- und Sorgerecht oder die Betreuung hilfebedürftiger Menschen war trotz der Beschränkungen weiter möglich.
Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass die Maßnahmen zwar erhebliche Eingriffe insbesondere in das Familiengrundrecht, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf schulische Bildung darstellten. Dies sei aber wegen „überragender Gemeinwohlbelange“ gerechtfertigt gewesen. Denn den Grundrechtseingriffen stehe auch die staatliche Schutzpflicht gegenüber, „Gefahren für Leben und Gesundheit“ abzuwehren „und für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems“ zu sorgen, erklärten die Richter.
Hier seien die Beschränkungen wegen der anhaltend hohen und steigenden Infektionszahlen erforderlich und verhältnismäßig gewesen. Ohne die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sowie die Schulschließungen hätte sich die Pandemielage nach den damaligen Erkenntnissen weiter verschärft. Die Zahl der an COVID-19 erkrankten Intensivpatienten sei deutlich angestiegen. Es habe sich abgezeichnet, dass eine Vielzahl von Krankenhäusern auf Notbetrieb umstellen und die Zahl planbarer Eingriffe zurückfahren müssten.
Vor diesem Hintergrund habe der Bund bei Überschreiten der festgelegten Inzidenzwerte die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen sowie die Schulschließungen beschließen dürfen. Die befristete Bundesnotbremse habe auch nicht einseitig dem Gesundheitsschutz Vorrang eingeräumt, erklärten die Verfassungsrichter. Die zahlreichen Ausnahmen hätten die Grundrechtseingriffe „freiheitsschonend“ gestaltet.
Um trotz der Corona-Pandemie eine ausreichende Beschulung per Digitalunterricht zu gewährleisten, habe der Bund zudem den Ländern im Rahmen des „DigitalPakts Schule“ Finanzhilfen von insgesamt 1,5 Milliarden Euro gewährt. Zwar seien Eltern und insbesondere Alleinerziehende wegen der Schulschließung mit der zusätzlichen Betreuung ihrer Kinder besonders betroffen gewesen. Aber auch hier habe der Staat versucht, Belastungen auszugleichen. Dazu hätten etwa Notbetreuungen zur Entlastung erwerbstätiger Eltern gezählt.
Angesichts der weiter steigenden Corona-Infektionszahlen wollten Bund und Länder am Dienstag ihr weiteres Vorgehen in der Pandemie erneut abstimmen. Diskutiert wurde vorab auch über einen möglichen weiteren Lockdown.