Trier (epd). Mehr als 50 Jahre nach einer Studie zum Einsatz des Schlafmittels Contergan an tuberkulosekranken Kindern und Jugendlichen in einer katholischen Kinderheilanstalt in Rheinland-Pfalz haben der heutige Träger und der Caritas-Verband Trier für das damalige Vorgehen um Verzeihung gebeten. „Aus heutiger Sicht ist die damalige Praxis der Arzneimittelprüfungen an Kindern außerhalb jeglichen Verständnisses“, heißt es in dem Bericht zu den Vorgängen, über dessen Fertigstellung die Caritas am Donnerstag informierte. Der Einsatz des später wegen gravierender Nebenwirkungen vom Markt genommenen Mittels bei der Tuberkulose-Therapie war 1959 und 1960 an 300 jungen Patientinnen und Patienten der Heilstätte Maria Grünewald in Wittlich getestet worden.
Trotz intensiver Nachforschung gebe es keine Hinweise darauf, dass die mehr als 300 betroffenen Kinder und Jugendlichen oder deren Eltern in die Contergan-Studie eingewilligt hatten, schreiben die Autoren des Berichts. Eltern hätten bei der Aufnahme ihrer Kinder lediglich pauschal „allen ärztlichen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden“ zugestimmt. Über die Contergan-Studie in der Eifel hatte im Sommer 2020 zuerst das ARD-Politikmagazin „Report Mainz“ berichtet.
Der Augsburger Medizinhistoriker David Freis kam in seiner Untersuchung der Vorgänge zu dem Ergebnis, die Contergan-Studie habe sich „im Wesentlichen innerhalb des zu dieser Zeit üblichen - allerdings nur sehr unscharf definierten - rechtlichen und ethischen Rahmens“ bewegt und damit der „damals üblichen Forschungspraxis“ entsprochen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung seien die Verantwortlichen davon ausgegangen, dass das zugelassene und rezeptfrei erhältliche Contergan völlig harmlos sei.
Ein individueller Vorwurf könne den damals Handelnden daraus nicht gemacht werden, lautet das Fazit des Wissenschaftlers: „Gleichzeitig verweist die Studie jedoch auch auf eklatante Mängel in der Regelung und der Praxis medizinischer Versuche an Menschen in der Bundesrepublik der Nachkriegsjahrzehnte.“ Zudem sei es problematisch, dass Contergan auch „über eine eindeutige medizinische Indikation hinaus zur Einhaltung der Nachtruhe und bei Heimweh“ verabreicht wurde.
Das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan war von 1957 bis 1961 auf dem Markt. Bei der Zulassung des Medikaments war nicht bekannt, dass der Wirkstoff Thalidomid fatale Folgen für die Entwicklung von Embryos hat. Schwangere, die das rezeptfrei erhältliche Mittel auch gegen Übelkeit einnahmen, brachten Kinder mit schweren Missbildungen an Armen und Beinen zur Welt. Die Contergan-Affäre gilt als folgenschwerster Arzneimittelskandal in der Geschichte der Bundesrepublik.