Brandenburg an der Havel (epd). Im NS-Prozess gegen einen früheren Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen hat der Vorsitzende Richter an den Angeklagten appelliert, sich zu äußern. Er bitte ihn, sich zu überlegen, ob er nicht doch zu dem Zeitraum etwas sagen könne, um den es in dem Prozess geht, sagte Richter Udo Lechtermann am Freitag zum Abschluss des sechsten Verhandlungstages in Brandenburg an der Havel: „Das könnte der Anstand gebieten.“ Dem 100-jährigen Angeklagten Josef S. wird Beihilfe zum Mord in mindestens 3.518 Fällen vorgeworfen. (AZ: 11 Ks 4/21)
Den polizeilichen Ermittlungen zufolge hat der Angeklagte zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 mehr als drei Jahre lang im KZ Sachsenhausen als SS-Wachmann gearbeitet. Die Tätigkeit ist auf verschiedenen Unterlagen aus der Zeit vermerkt. Im Zuge der Ermittlungen wurden unter anderem Dokumente aus der Gedenkstätte Sachsenhausen, dem Bundesarchiv in Berlin und der Stasi-Unterlagenbehörde ausgewertet.
Falls Josef S. nicht der Mann sei, der in den im Gerichtsverfahren bereits behandelten Unterlagen aufgeführt ist, wäre es hilfreich zu sagen, was er in der Zeit gemacht hat, sagte Richter Lechtermann. Falls er derjenige sei, der in den Unterlagen steht, wäre eine Aussage auch für die Nebenkläger gut, betonte der Richter: „Lassen Sie sich Zeit, überlegen Sie.“
Der Angeklagte hatte sich bei seiner Vernehmung am zweiten Prozesstag für unschuldig erklärt. In der Befragung zu seinem Lebenslauf hatte er sich zwar zu Kindheit und Armeezeit in Litauen, Kriegsgefangenschaft und der Zeit in der DDR geäußert, jedoch nicht zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft.