Brüssel, Straßburg (epd). EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union die Corona-Pandemie und weitere große Herausforderungen der Gegenwart zum Thema gemacht. Die Deutsche versuchte bei ihrem Auftritt am Mittwoch Mut zu machen und stellte die italienische Paralympics-Siegerin Beatrice Vio als Inspirationsquelle dar, die als Ehrengast dem Auftritt im Straßburger Europaparlament beiwohnte.
Die junge Sportlerin stehe für den Glauben, das Unmögliche zu schaffen. „Das war der Geist unserer europäischen Gründer, und das ist der Geist von Europas nächster Generation“, so endete von der Leyen. Begonnen hatte sie ihre Rede mit Ausführungen zur Corona-Pandemie. Von der Leyen schwor auf weitere harte Monate ein und warnte vor einer „Pandemie der Ungeimpften“.
Wie in anderen Teilen der Rede, deren Tradition ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker 2015 begründet hatte, verknüpfte die ehemalige Bundesministerin aus ihrer Sicht erfolgreiche Politik mit Ankündigungen. Europa sei die einzige Region, die 50 Prozent ihrer Impfstoff-Produktion mit der Welt geteilt habe. Bis Mitte 2022 werde sie zusätzlich 200 Millionen Corona-Impfdosen für Niedriglohnländer spenden.
Mit Blick auf die Klimakrise forderte von der Leyen die USA und andere wohlhabende Staaten auf, mehr Geld für arme Ländern zu geben. Die großen Volkswirtschaften hätten sich international verpflichtet, 100 Milliarden US-Dollar jährlich zur Verfügung zu stellen. Die EU erfülle mit 25 Milliarden US-Dollar ihren Beitrag. Andere Beitragszahler ließen hingegen eine Lücke.
Die Klimafinanzierung sei wesentlich für die ärmsten und verwundbarsten Staaten, sagte von der Leyen. Sie diene ebenso dem Kampf gegen den Klimawandel wie der Anpassung an dessen Folgen. Und Europa sei bereit, noch mehr zu tun. „Aber wir erwarten, dass die USA und unsere Partner ebenfalls zulegen.“ China legte sie den Ausstieg aus der Kohlenutzung nahe.
Mit Blick auf Afghanistan kündigte sie weitere 100 Millionen Euro humanitärer Hilfe an. Eine der Lehren aus Afghanistan sei eine engere Zusammenarbeit von EU und Nato, sagte die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin, die auch ein Gipfeltreffen zur Verteidigung unter der französischen Ratspräsidentschaft ankündigte.
Das Thema Migration und Flüchtlinge sprach sie mit Blick auf die Ankömmlinge an der EU-Grenze zu Belarus an und beklagte, wie langsam die von ihrer Behörde 2020 gemachten Vorschläge zur Asylpolitik bearbeitet würden - eine Kritik, die sie eher an die Mitgliedstaaten als das EU-Parlament gerichtet haben dürfte. Ebenfalls durch die Blumen angesprochen fühlen konnten sich besonders osteuropäische Länder, als die Deutsche Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und den Primat des Europäischen Gerichtshofs beschwor.
Bei ihren Zuhörern kam die Zurückhaltung nicht immer gut an. „In ihrer Rede betonte sie die Bedeutung des Rechtsstaats als Seele Europas, umschiffte jedoch die konkreten Attacken der nationalkonservativen Regierungen in Polen und Ungarn“, kritisierte der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier. Der Grüne Sven Giegold bemängelte: „Wenige Wochen vor der UN-Klimakonferenz in Glasgow hätte aus Europa ein stärkeres Klimasignal kommen müssen.“
Und die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ ging die studierte Ärztin von der Leyen in Sachen Corona an. „Die Kommissionpräsidentin sagt, die EU solle alles unternehmen, damit es nicht zu einer Pandemie der Ungeimpften kommt. Doch mit ihrer Blockade gegenüber globalen Initiativen zur Impfstoffproduktion und -verteilung hat die EU genau das bewirkt“, kritisierte der internationale Präsident der Organisation, Christos Christou.