Lage für viele Afghanen weiter aussichtslos

Lage für viele Afghanen weiter aussichtslos
Journalistinnen und Journalisten bitten um Hilfe
Auch zwei Wochen nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul herrscht Verzweiflung und Not. Die UN appellieren an die Staaten, die Bevölkerung auch nach Ende der Evakuierungen nicht zu vergessen.

Dubai, Kabul (epd). Kurz vor dem Ende der Evakuierungen aus Afghanistan wächst die Angst der Menschen vor zunehmender Gewalt und wirtschaftlicher Not. Hunderte Afghaninnen und Afghanen mit gültigen Evakuierungsdokumenten saßen nach Berichten des afghanischen TV-Senders Tolo News am Montag weiter um den Flughafen von Kabul fest. Sie hätten keine Chance gehabt, auf einen der Rettungsflüge zu kommen und das Land zu verlassen, zitierte der Sender verzweifelte Menschen: „Wir haben Dokumente, aber keiner kümmert sich um uns.“ Die UN riefen eindringlich zu Hilfe für die afghanische Bevölkerung auf. Ein erstes Flugzeug mit medizinischen Hilfsgütern konnte in der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif landen.

Derweil baten 150 Journalistinnen und Journalisten in einem offenen Brief die internationale Gemeinschaft um Schutz für sich und ihre Angehörigen, wie Tolo News berichtete. „Wir leben in Unsicherheit. Wir wissen nicht, was mit uns und unserer Zukunft passieren wird“, hieß es. Die prominente Tolo-Moderatorin Beheshta Arghand, die mit einem Interview mit einem Taliban-Führer kurz nach der Machtübernahme der Radikalislamisten Geschichte schrieb, verließ unterdessen Medienberichten zufolge das Land. Dem US-Sender CNN sagte Arghand, sie sei gegangen, weil sie wie Millionen Menschen die Taliban fürchte.

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, appellierte an die Weltgemeinschaft, das Schicksal der afghanischen Bevölkerung auch nach dem Ende der Evakuierungen nicht zu vergessen. Die Taliban, die vor etwas mehr als zwei Wochen die Macht in Kabul übernahmen, forderte er auf, die Menschenrechte zu achten. Innerhalb des Landes irrten immer noch rund 3,5 Millionen Binnenflüchtlinge umher. Die meisten von ihnen hätten keinen Schutz. Grandi rief die Staaten in der Region dazu auf, die Grenzen für afghanische Flüchtlinge offenzuhalten. Am Montag wollte der UN-Sicherheitsrat über die Lage in Afghanistan beraten.

Insgesamt brauchen laut den UN 18 Millionen der 39 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes Hilfe. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte in Kairo mit, ein von Pakistan bereitgestelltes Flugzeug mit Medikamenten und medizinischem Gerät sei in der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif gelandet. Die mit Vorräten für mehr als 200.00 Menschen ausgestattete Maschine sei die erste Lieferung medizinischer Güter seit der Machtübernahme der Taliban. Hilfsorganisationen können den Flughafen der Hauptstadt Kabul wegen Chaos und Gewalt nicht nutzen.

Die meisten westlichen Länder hatten ihre Evakuierungsflüge am Wochenende eingestellt. Die Evakuierungsmission der USA hielt am Montag noch an - dem letzten Tag vor dem offiziellen Abschluss des Truppenabzugs aus Afghanistan am 31. August. Die Mission laufe auch trotz einem Raketenbeschuss des Flughafens weiter, erklärte das Weiße Haus. Laut dem Sender Al-Dschasira wurden mehrere Raketen auf den Flughafen abgeschossen, die das Abwehrsystem des Flughafens abgefangen haben soll. Das Terrornetzwerk IS bekannte sich zu dem Angriff. Berichte über mögliche Opfer gab es zunächst nicht. In der vergangenen Woche waren bei einem Selbstmordanschlag der afghanischen IS-Gruppe IS-K auf ein Tor des Flughafens mehr als 180 Menschen getötet worden, darunter auch 13 US-Soldaten.

Die USA reagierten mit Vergeltungsschlägen auf Ziele der Terrororganisation. Am Sonntag wurde ein mit Sprengstoff beladenes Auto nahe dem Kabuler Flughafen beschossen. Laut Augenzeugen sollen bei dem Drohnen-Angriff auch Kinder getötet worden sein, wie Al-Dschasira berichtete. Drei der sechs zivilen Opfer sollen demnach Minderjährige sein. Es gab allerdings auch Berichte von neun Toten in einer Familie, darunter sechs Kindern.

Es blieb weiter unklar, wie die neue Regierung aussehen soll und wie das Land sich wirtschaftlich über Wasser halten kann. Seit Tagen bilden sich lange Schlangen vor den Banken in Kabul, wo kaum mehr Bargeld ausgezahlt wird. Russland forderte eine internationale Konferenz zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans und appellierte an die USA, die eingefrorenen Reserven der afghanischen Zentralbank wieder freizugeben.