Schortens (epd). Der Skandal um nur mit Kochsalz gefüllte Impfspritzen im niedersächsischen Kreis Friesland weitet sich offenbar aus. Eine Zeugin aus dem Impfzentrum in Schortens behauptet laut dem Magazin „Spiegel“ (Freitag), sie habe ihre Vorgesetzten vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) bereits fünf Tage vor Bekanntwerden der Vorgänge gewarnt, dass ihre Kollegin eine Impfgegnerin und Verschwörungsgläubige sein könnte. Doch habe niemand darauf reagiert. Landrat Sven Ambrosy (SPD) sagte auf Nachfrage des Evangelischen Pressedienst (epd), ihm sei davon nichts bekannt. Dies müsse von den Ermittlungsbehörden überprüft werden.
Sollte sich der Vorwurf jedoch bewahrheiten, sei dies „fatal“, sagte Ambrosy. Wenn solche Warnungen bestanden hätten, hätte das DRK den Landkreis als Auftraggeber informieren müssen. Ein Zurückhalten solcher Informationen wäre ein erheblicher Verstoß gegen die Geschäftsgrundlage und stelle die Vertrauensfrage. Der Vorfall müsse lückenlos aufgeklärt werden.
Der etwa 40-jährigen examinierten Krankenschwester wird vorgeworfen, am 21. April in mindestens sechs Fällen im Impfzentrum Schortens-Roffhausen Impfstoff gegen eine Kochsalzlösung ausgetauscht zu haben, weil ihr eine Ampulle mit dem Vakzin zerbrochen sei. Weil die Ermittler nicht ausschließen können, dass die Frau bereits zuvor mehrfach ausschließlich Kochsalz verwendet hat, müssen jetzt mehr als 10.000 Menschen nachgeimpft werden. Die Polizei hat inzwischen eine Sondereinheit eingerichtet, die gegen die Frau wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung ermittelt.
Dem „Spiegel“ zufolge hatte die Zeugin von der Beschuldigten über den Messenger WhatsApp Texte und Videos mit „wirren Verschwörungsfantasien“ erhalten. Diese Nachrichten habe sie an ihre Teamleitung weitergeleitet, ohne dass es eine Reaktion gegeben habe.
Der Kreisgeschäftsführer des DRK, Carl-Martin Köhler, sagte dem epd, die Zeugin habe zwar am 19. April der Teamleitung mitgeteilt, sie erhalte von der später Beschuldigten „merkwürdige Chats“. Doch sei nicht deutlich geworden, dass es sich um impfkritische Nachrichten gehandelt habe oder die Beschuldigte eine Impfgegnerin sei. Trotzdem habe er darum gebeten, diese Chats zu sammeln. Er selbst habe die Chats erst einige Tage später erhalten. Die Polizei habe das Handy der Beschuldigten im Übrigen ausgewertet und die Posts als „harmlos“ eingestuft, sagte Köhler weiter.
Der Anwalt der Beschuldigten weist die Vorwürfe gegen seine Mandantin zurück. Sie habe nicht aus politischen Gründen gehandelt, zudem habe es nur diesen einen Vorfall gegeben. Überdies habe sie Impfstoffreste aus anderen Ampullen auf die Spritzen aufgezogen, so dass jeder Impfling das Vakzin bekommen habe. Experten zufolge istein solches Vorgehen verboten und kann hochgefährlich sein.