Das sei im Grunde keine neue Erfahrung für die Soldaten, sagte der evangelische Militärpfarrer Stephan Schmid dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach dem weitgehenden Abzug der internationalen Truppen würden die Taliban nun aber schneller Städte und Gebiete zurückerobern. Doch Rückeroberungen seien auch in den letzten zehn bis 15 Jahren ständig vorgekommen, sagte Schmid, der gemeinsam mit den letzten deutschen Soldaten im Juni aus Afghanistan nach Deutschland zurückgekehrt ist.
Die radikal-islamischen Taliban setzten ihren Vormarsch in Afghanistan am Freitag fort. Mittlerweile kontrollieren die Aufständischen nun fast das ganze Land bis auf die Hauptstadt Kabul. Schmid, der 2011, 2014 und 2021 jeweils vier Monate dort im Einsatz war, sagte, solche Situationen lösten "große Frustration" unter den Soldatinnen und Soldaten aus. "Man kann sich nur mit dem Blick auf die kleinen Dinge, die sich zum Guten entwickelt haben, darüber hinwegtrösten", sagte Schmid.
So sei es beispielsweise gelungen, zusammen mit zivilen Kräften vor Ort eine Presse- und Rundfunklandschaft aufzubauen. "Man kann nur hoffen, dass die Menschen, die wir im Sinne der Menschenwürde, der Demokratie und der Freiheitsrechte in den vergangenen Jahren unterstützt haben, jetzt stark genug sind, dem Angriff der Taliban standzuhalten", sagte er.
Soldatinnen und Soldaten, die er nach ihrem Afghanistan-Einsatz in Deutschland wiedertreffe, sagten, dass die Entwicklung militärisch bereits abzusehen gewesen sei, so der Theologe, der auf dem Stützpunk Faßberg in Niedersachsen stationiert ist. Soldaten, die eng mit den Kräften vor Ort zusammengearbeitet hätten, hätten auch einen realistischen Einblick in die Situation der afghanischen Streitkräfte. Zweifel an der eigenen Rolle löse das aber selten aus, eher an der Afghanistan-Politik der Bundesregierung.
Die Situation der afghanischen Ortskräfte stelle die Bundesregierung vor ein Dilemma, sagte Schmid. "Man muss zwischen denjenigen unterscheiden, die direkt als Übersetzer für die Truppe gearbeitet haben, und denjenigen, die im Camp Marmal für internationale Unternehmen beispielsweise für die Versorgung tätig gewesen sind", sagte Schmid. Für letztere trage die Bundeswehr nur mittelbar die Verantwortung, dürfe sich aber damit nicht herausreden.