Berlin (epd). Angesichts einer möglichen Machtübernahme der Taliban hat Außenminister Heiko Maas (SPD) gedroht, die finanzielle Hilfe für Afghanistan auszusetzen. „Wir werden keinen Cent mehr nach Afghanistan geben, wenn die Taliban dieses Land komplett übernommen haben, die Scharia einführen und dieses Land ein Kalifat wird“, sagte Maas am Donnerstag im „Morgenmagazin“ des ZDF. Das Land sei „ohne internationale Hilfe nicht lebensfähig“. Deutschland unterstützt Afghanistan nach Angaben des Außenministers mit jährlich 430 Millionen Euro.
Maas kündigte auch eine Aktualisierung des Lageberichts des Auswärtigen Amtes an, der den deutschen Behörden als Grundlage für Abschiebentscheidungen dient. „Dort wird von einer deutlich schlechteren Sicherheitslage auszugehen sein“, sagte er. Am Mittwoch hatte das Bundesinnenministerium entschieden, wegen der eskalierenden Gewalt vorerst keine Afghaninnen und Afghanen mehr abzuschieben. Allerdings sollen die Rückführungen laut Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wieder aufgenommen werden, sobald es die Lage zulasse.
Seit dem Abzug nahezu aller internationalen Truppen und dem Beginn einer Taliban-Offensive Anfang Mai erobert die radikal-islamische Miliz immer mehr Gebiete. Die Taliban kontrollieren inzwischen mindestens neun der insgesamt 34 Provinzen. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des Jahres 359.000 Afghaninnen und Afghanen vor den Kämpfen geflohen.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zog eine gemischte Bilanz des 20-jährigen Bundeswehreinsatzes am Hindukusch. Zwar sei in den vergangenen Jahren aus Afghanistan kein Terrorismus exportiert worden, sagte Kramp-Karrenbauer dem Deutschlandfunk. Aber es sei nicht gelungen „aus Afghanistan ein anderes Land zu machen, es nachhaltig positiv zu wenden“. Das gehöre zur Realität und zur Betrachtung dazu.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Niels Annen (SPD), rechnet angesichts der Taliban-Offensive mit einer steigenden Zahl von Flüchtlingen aus der Region auch in Europa und Deutschland. „Es ist naiv zu glauben, dass der Vormarsch der Taliban und die Gewalt in der Kriegsregion keine migrationspolitischen Folgen hat“ , sagte Annen den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag). Die Auswirkungen davon werde auch Deutschland spüren, „wenn auch noch nicht in den kommenden Wochen“.
Derweil forderte Caritas International mehr humanitäre Hilfe für die afghanische Bevölkerung. Es kämen immer mehr Binnenflüchtlinge nach Kabul, die dort teilweise unter freiem Himmel in den Parks der Stadt übernachteten, erklärte das katholische Hilfswerk. Die Bevölkerung leide nicht nur unter den anhaltenden Kämpfen sondern auch an akutem Hunger und der Corona-Pandemie, sagte der Leiter des Caritas-Büros in Afghanistan, Stefan Recker.