Bremen (epd). Angesichts der stockenden Impfbereitschaft in Deutschland sieht der Bremer Versorgungsforscher Ansgar Gerhardus den Staat in der Verantwortung. „Die Politik sollte sich das Ziel setzen, dass so viele Menschen wie möglich in Deutschland geimpft werden“, sagte der Experte für öffentliche Gesundheit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Dieses Ziel kann sie nicht delegieren an die Kassenärztliche Vereinigung oder die Hausärzte.“ Dabei müsse der Staat „jede Schiene nutzen, die zur Verfügung steht“. Der Professor leitet die Abteilung Versorgungsforschung am Institut für „Public Health“ der Universität Bremen.
Ein hervorragendes Mittel seien Impfmobile, die etwa an sozialen Brennpunkten unterwegs seien. „Weil sie eine Anlaufstelle sind für Leute, denen es vielleicht zu kompliziert ist, sich per Internet an einem Impfzentrum anzumelden oder die vielleicht einfach zu bequem dafür sind“, sagte der Wissenschaftler. Allerdings müssten hier die Grundsätze für eine gute medizinische Behandlung eingehalten werden. „Ich warne davor, dass sich einzelne Ärzte jetzt einfach so auf den Supermarkt-Parkplatz stellen.“
Eine weitere Möglichkeit sei, Impfteams an die Schulen zu schicken. Das müsse aber sorgfältig abgewogen werden, betonte der Forscher: „Wenn klar ist, dass die Eltern rechtzeitig informiert werden und ihr Einverständnis geben, ist das in Ordnung. Es sollte aber nicht der Eindruck entstehen, dass dort Kinder quasi überfallen werden.“ Zurzeit kämen solche Aktionen ohnehin nur für Jugendliche ab 16 Jahren infrage, weil nur für sie eine uneingeschränkte Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) gelte: „Bei den Jüngeren ist es im Moment noch zu früh, systematisch an die Schulen zu gehen.“
Das Wichtigste sei, dass die Menschen der Impfkampagne vertrauten, unterstrich Gerhardus: „Vertrauen ist das höchste Gut.“ Vertrauen habe die Bevölkerung dann, wenn die Impfempfehlungen auf höchster Kompetenz und auf Unabhängigkeit beruhten. „Wir haben in Deutschland das Glück, dass wir mit der Stiko genau eine solche Institution haben. Die sollten die Politiker öffentlich stärken.“
Vertrauen könne auch die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Organisationen schaffen. „Es lohnt sich sicher, auch über Informationen in Kirchen und Moscheen nachzudenken“, sagte der Wissenschaftler. Gerade Menschen, die als Flüchtlinge gekommen seien, hätten häufig ein geringes Vertrauen in staatliche Organisationen. Eine Impfpflicht sieht der Forscher kritisch: „Wenn man zu sehr an das Pflichtgefühl appelliert oder es zu einer Pflicht macht, dürfte das zumindest in unserer Kultur in Deutschland Widerstand hervorrufen.“