Berlin (epd). Angesichts eines Rückgangs bei der Zahl der verabreichten Corona-Impfungen haben Mediziner eine neue Debatte über eine Impfflicht zumindest für bestimmte Berufsgruppen angestoßen. „Wir brauchen eine Impfpflicht für das Personal in Kitas und Schulen“, sagte der Mediziner Wolfram Henn, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, der „Rheinischen Post“ (Montag). Lehrkräfte und Kita-Erzieherinnen sollten so vor allem Kinder unter zwölf Jahren schützen, die keine Impfung bekommen können. Zustimmung erhielt er vom Vorsitzenden des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, der dies auch für medizinische Berufe forderte. Die Bundesregierung blieb jedoch bei ihrem Nein zur Impfflicht. Es sei mehrfach betont worden, dass es die nicht geben solle, „und dabei bleibt es“, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums am Montag in Berlin.
Henn begründete seine Forderung mit der Verantwortung der Berufsgruppe: „Wer sich aus freier Berufswahl in eine Gruppe vulnerabler Personen hineinbegibt, trägt eben besondere berufsbezogene Verantwortung“, sagte er. Zwar hätten Kinder selbst ein geringes Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, „man muss aber weiter damit rechnen, dass sie das Virus in ihre Familien tragen und Menschen aus Risikogruppen infizieren“, sagte Henn, Professor für Humangenetik an der Universität des Saarlandes.
Montgomery sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag), eine berufsbezogene Impfpflicht sei nicht nur im Bildungsbereich sinnvoll. „Auch in der Medizin sollten Ärzte und Schwestern zu ihrem Schutz, zum Schutz der ihnen anbefohlenen Patienten und zum Erhalt der Funktionen geimpft sein, wenn sie regelmäßig mit Covid-Patienten zu tun haben“, erklärte Montgomery. Auf Ablehnung stieß die Forderung dagegen beim SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. „Wir haben immer betont, dass wir keine Impfpflicht einführen werden. Da muss die Politik auch Wort halten.“ Die meisten Erzieherinnen und Erzieher würden sich ohnehin auch so impfen lassen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schaute am Montag besorgt auf den Rückgang der Zahl der Impfungen. So wenig Erstimpfungen wie am Sonntag habe man zuletzt im Frühjahr gehabt, mit dem Unterschied, dass nun allerdings genug Impfstoff da sei, twitterte er und ergänzte: „Es bleibt dabei: Bitte impfen lassen!“
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) gab es am Sonntag 66.236 Erst- und 155.484 Zweitimpfungen. Dies war auch für einen Sonntag ein niedriger Wert. Am Sonntag zuvor hatte es mehr als 100.000 Erstimpfungen gegeben. Die zwischenzeitlich mehrfach am Werktagen erreichte Marke von einer Million Impfungen an einem Tag war zuletzt am 30. Juni überschritten worden. Insgesamt nimmt die Zahl der verabreichten Dosen im jeweiligen Wochenvergleich aktuell ab.
Fast 49 Millionen Menschen in Deutschland wurden laut RKI bis einschließlich Sonntag einmal geimpft. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 58,5 Prozent. Mehr als 35 Millionen Menschen (42,6 Prozent) haben bereits den vollständigen Impfschutz, für den bei den meisten Herstellern zwei Dosen notwendig sind.