Offenbach (epd). Wehrdienstverweigerer in der Türkei sind nach Angaben des Vereins „Connection“ praktisch aus dem öffentlichen Leben und dem Berufsleben ausgeschlossen. Sie seien lebenslang immer wieder von Strafverfahren bedroht, sagte Rudi Friedrich von dem Verein für Kriegsdienstverweigerung am Dienstag in Offenbach dem Evangelischen Pressedienst (epd). Friedrich bezog sich auf die Veröffentlichung einer von Rechtsanwältinnen erstellten Studie des Istanbuler Vereins für Kriegsdienstverweigerung.
Sobald ein türkischer Kriegsdienstverweigerer ein Krankenhaus, ein Hotel oder eine Behörde aufsuche, würden die persönlichen Daten der Polizei gemeldet, die den Mann dann festnehme, erklärte Friedrich. Dies bedeute, dass ein Kriegsdienstverweigerer kein Studium antreten, nicht heiraten oder kein Sorgerecht beantragen könne, ohne rekrutiert zu werden und bei Verweigerung ein Strafverfahren aufgehalst zu bekommen. Selbst ein privater Arbeitgeber müsse eine Kriegsdienstverweigerung der Polizei melden, so dass in diesem Fall auch eine normale Berufstätigkeit ohne Strafverfahren nicht möglich sei. „Kriegsdienstverweigerer in der Türkei sind ihrer bürgerlichen Rechte beraubt“, kritisierte Friedrich.
In der Türkei ist nach Friedrichs Angaben jeder Mann offiziell zwischen 20 bis 41 Jahren zu einem sechs- oder zwölfmonatigen Militärdienst verpflichtet. Faktisch gelte die Wehrpflicht ein Leben lang, auch über 60-Jährige seien schon eingezogen worden. Bei dem türkischen Verein für Kriegsdienstverweigerung haben sich nach dessen Studie zwischen 1989 und 2021 genau 409 Verweigerer gemeldet. Die tatsächliche Zahl werde auf rund 1.000 geschätzt, sagte Friedrich. Die Verweigerer seien Zeugen Jehovas oder Personen mit pazifistischer und antimilitaristischer Motivation, auch Kurden. Daneben hätten sich Hunderttausende dem Militärdienst im In- und Ausland entzogen, ohne eine Kriegsdienstverweigerung erklärt zu haben.
Die türkische Justiz verhängt der Istanbuler Studie zufolge wegen Verstoßes gegen die Wehrpflicht meist Geldstrafen zwischen umgerechnet rund 100 und 3.000 Euro, aber auch Haftstrafen von einigen Monaten bis zu 20 Monaten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei laut Friedrich schon in mindestens fünf Fällen dazu verurteilt, gemäß internationaler Verträge das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anzuerkennen. Aber Regierung und Parlament rührten sich nicht. Das türkische Verfassungsgericht lasse anstehende Streitfälle ruhen und treffe keine Entscheidung.