Berlin (epd). Gut ein halbes Jahr nach dem Start der Corona-Schutzimpfungen in Deutschland sorgt sich ein Teil der Ärzteschaft und Politik um die Impfbereitschaft. Aus ihren Reihen gibt es Forderungen nach mehr Freiheiten für Geimpfte, um einen Anreiz für die Immunisierung zu schaffen, und Sanktionen für diejenigen, die ohne Absage einen Impftermin verstreichen lassen. Die Bundesregierung reagiert skeptisch. Es gebe keine Planungen für Strafzahlungen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin.
Am Montag hatte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) in der „Welt“ Sympathien für die Forderung nach Bußgeldern erkennen lassen, wie sie bereits am Wochenende laut geworden war. Der Präsident des Berliner Deutschen Roten Kreuzes, Mario Czaja (CDU), sagte dem Deutschlandfunk, dass in den Berliner Impfzentren bei fünf bis zehn Prozent der vergebenen Termine niemand erscheine. Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums sagte am Montag allerdings, es gebe keine Hinweise darauf, dass das Verstreichenlassen von Impfterminen ohne Absage ein massenhaftes Phänomen ist.
Dennoch appellierte auch Regierungssprecher Seibert, einen Impftermin abzusagen, wenn man ihn nicht wahrnehmen könne oder wolle. Die Absage ermögliche anderen, einen Termin zu bekommen, und erleichtere die Planungen für das Personal in Impfzentren und Praxen. Gegen Bußgelder für das Nichtabmelden sprach sich auch das bundesweite DRK aus. „Wir setzen auf Freiwilligkeit und Einsicht der Betroffenen“, sagte Präsidentin Gerda Hasselfeldt.
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, warnte im Fall von Bußgeldern in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag) vor einem „Bürokratiemonster“. In der Pandemie seien Menschen mit Verboten „geflutet“ worden. „Da sollte man nicht noch etwas draufsetzen“, sagte er.
Stattdessen forderte er weitere Freiheiten für Geimpfte, etwa Restaurantbesuche im Innenbereich oder Ausnahmen bei den Quarantäneregeln nach Rückkehr aus dem Ausland. Auch Geimpfte müssen derzeit in Quarantäne, wenn sie aus einem sogenannten Virusvariantengebiet, also einer Region mit hoher Verbreitung einer Coronavirus-Mutante, zurückkommen.
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, forderte in der „Bild“-Zeitung (Montag), im September alle Corona-Maßnahmen für vollständig Geimpfte zu beenden, einschließlich der Maskenpflicht, um so die Impfbereitschaft zu erhöhen. Auch dazu reagierte die Bundesregierung zurückhaltend. Die Sprecherin des Gesundheitsministeriums verwies auf eine Äußerung von Minister Jens Spahn (CDU), wonach dies möglich sei, sobald alle in der Bevölkerung ein Impfangebot erhalten haben. Dies ist derzeit noch nicht der Fall.
Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk, hält allerdings auch diesen Zeitpunkt für verfrüht. Das Angebot allein reiche nicht aus. „Wir müssen eine hohe Zahl an geimpften Personen haben, damit wir verhindern, dass das Virus sich doch noch einmal breit machen kann“, sagte sie im SWR. Selbst wenn im September 70 Prozent geimpft seien, überlasse man die weiteren 30 Prozent dem Risiko sich anzustecken.
Laut Robert Koch-Institut (RKI) wurden bis einschließlich Sonntag fast 39 Prozent der deutschen Bevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft. Mindestens eine Impfdosis haben 56,5 Prozent erhalten. Laut RKI wird angesichts der ansteckenderen Delta-Variante derzeit davon ausgegangen, dass 80 Prozent der Bevölkerung gegen Covid-19 geimpft sein müssen, um durch die sogenannte Herdenimmunität einen nachhaltigen Schutz für alle zu erreichen.
Der Theologe und Sozialethiker Peter Dabrock sieht nach eigenen Worten angesichts der fehlenden Impfmöglichkeit für Kinder zwar keine rechtliche, aber eine moralische Impfflicht für Erwachsene. Er forderte die Religionsgemeinschaften dazu auf, Impfungen zu bewerben. „Impfen ist Ausdruck von Nächstenliebe“, sagte der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats dem Evangelischen Pressedienst (epd).