Berlin (epd). Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Entlohnung ausländischer Pflegekräfte hat eine Diskussion über politische Konsequenzen aus dem Richterspruch in Gang gesetzt. Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sieht großen Handlungsdruck. Er begrüßte das Urteil, demzufolge nach Deutschland entsandte ausländische Pflege- und Betreuungskräfte Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Die 24-Stunden-Betreuung müsse zu einem Megathema der Politik werden, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag).
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hatte in einem am Donnerstag verkündeten Grundsatzurteil entschieden, der Mindestlohnanspruch bestehe auch für Bereitschaftsarbeit und auch für Pflegekräfte, die 24 Stunden am Tag sieben Tage in der Woche Menschen in ihren Privatwohnungen pflegen. Konkret ging es um den Fall einer bulgarischen Pflege- und Haushaltskraft, die nach ihren Angaben monatelang rund um die Uhr eine über 90-jährige Frau betreut hatte.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am Freitag in Berlin, er habe schon vor Jahren als Abgeordneter Vorschläge gemacht, wie ein besserer regulatorischer Rahmen für die 24-Stunden-Betreuung gefunden werden könne. Er schlug vor, sich das Beispiel aus Österreich anzuschauen. Dort habe man eine gesetzliche Regelung zu Arbeitsschutz und Arbeitszeit in diesem Bereich geschaffen. In der Bundesregierung sei eine ähnliche Regelung bislang aber nicht konsensfähig gewesen, sagte der Gesundheitsminister. Aus dem Bundesarbeitsministerium habe es geheißen, es gebe keinen Regelungsbedarf, sagte Spahn.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnete das BAG-Urteil am Freitag als „wegweisend und richtig“. „Arbeit hat eine Würde. Egal ob Sie aus Bukarest oder aus Bottrop kommen: Wenn Sie arbeiten, dann haben sie einen anständigen Lohn verdient“, sagte Heil in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv.
Den konkreten Fall einer bulgarischen Pflege- und Haushaltskraft, die nach ihren Angaben monatelang rund um die Uhr eine über 90-jährige Frau betreut hatte, verwiesen die obersten Arbeitsrichter an das Landesarbeitsgericht in Berlin zurück. Die bei einer bulgarischen Firma angestellte und über eine deutsche Agentur vermittelte Pflegekraft hatte eine Nachzahlung in Höhe von 42.636 Euro abzüglich bereits gezahlter 6.680 Euro verlangt.
Wenige Tage vor dem Urteil hatte das Bundesgesundheitsministerium erklärt, es sehe keine Notwendigkeit, die prekären Zustände in der 24-Stunden-Pflege anzugehen. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion vom Montag hervor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Zuerst hatte darüber das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Freitag) darüber berichtet.
Auf die Frage der Linksfraktion, ob die Regierung die im Mai vom Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung erhobene Forderung aufgreifen wolle, wonach die 24-Stunden-Betreuung zum „Megathema der Politik“ werden müsse, schrieb das Gesundheitsministerium lediglich, der Pflegebevollmächtigte habe „seine Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Pflege“ dargelegt. Und weiter: Es gebe keine Pläne, die in Deutschland geltenden Ausnahmen von internationalen Arbeitsschutz-Vorschriften für 24-Stunden-Pflegekräfte zu ändern.
Die Linken-Pflegeexpertin Pia Zimmermann sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“: „Dass der eigene Pflegebevollmächtigte öffentlich abgewatscht wird, ist das eine. Viel schlimmer ist, dass darin die perfide Pflege-Strategie der CDU zum Ausdruck kommt: Die Pflege völlig unzureichend finanzieren, aber im Ausland abwerben, um die Reichen zu schonen“, so die Linken-Politikerin.