Berlin (epd). Nach langem Ringen und begleitet von Kritik hat das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin die Pflegereform von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebracht. Kern sind eine bessere Entlohnung von Altenpflegekräften und Zuschläge für Heimbewohner, um ihre hohen Zuzahlungen zu mindern. Sozialverbände, Kommunen und Ver.di bezweifelten die Wirksamkeit der Reform. Die privaten Pflegeanbieter sehen die Existenz ihrer Unternehmen gefährdet. Der Bundestag soll die Änderungen bis Ende Juni beschließen.
Nach der Vorlage von Spahn sollen von September 2022 an nur noch solche Einrichtungen mit der Pflegekasse abrechnen können, die Tariflöhne oder Löhne mindestens in gleicher Höhe bezahlen. Der CDU-Politiker sagte, das werde „eine Spirale nach oben“ in Gang setzen. Er verwies darauf, dass von den rund 1,2 Millionen Pflegekräften nur etwa die Hälfte nach Tarif entlohnt würden. Die Vorgaben zur Tarifbindung würden sich insbesondere im Osten Deutschlands positiv auswirken.
Um mit den Mehrkosten nicht die Heimbewohner noch stärker zu belasten, sollen sie einen Zuschuss zu ihrem Eigenanteil für die Pflege bekommen. Er steigt mit der Dauer des Heimaufenthalts von fünf Prozent im ersten Jahr auf 70 Prozent ab dem vierten Jahr. Im Bundesdurchschnitt liegt der Eigenanteil zur Pflege im Heim derzeit bei 831 Euro im Monat. Er kann also um einige hundert Euro sinken, ist aber nur ein Teil der Zuzahlungen für Heimbewohner, die sich inzwischen auf durchschnittlich 2.068 Euro belaufen.
Spahn wies Zweifel an der Finanzierung der Reform zurück. „Wir haben eine saubere Gegenfinanzierung ohne Defizite“, sagt er nach dem Kabinettsbeschluss. Die Pflegeversicherung soll von 2022 an jährlich einen Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro erhalten und weitere 400 Millionen Euro durch eine Erhöhung des Beitragszuschlags für Kinderlose um 0,1 Prozentpunkt. Gleichwohl steuert die Pflegeversicherung nach Einschätzung des GKV-Spitzenverbandes wegen ihrer steigenden Ausgaben in diesem Jahr auf ein Milliarden-Defizit zu.
An der Reform gibt es weiter viel Kritik. Caritas und Diakonie würdigten sie zwar als einen ersten Schritt, verlangten aber eine wirksamere Deckelung der Eigenanteile. Pflegebedürftigkeit müsse für alle Menschen bezahlbar sein, erklärten die Präsidenten der kirchlichen Verbände.
Die Kommunalverbände zeigten sich ebenfalls skeptisch. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch), die Städte unterstützten höhere Löhne in der Pflege. Er habe aber „Zweifel, dass es gelingt, die Pflegebedürftigen zu entlasten“. Dazu fielen die Zuschüsse an die Heimbewohner zu gering aus. Ähnlich äußerte sich der Landkreistag. Die Kommunen kommen mit der Sozialhilfe für Pflegebedürftige auf, wenn deren Rente nicht reicht, um den Heimplatz zu bezahlen.
Die privaten Pflegeanbieter, die etwa die Hälfte der Einrichtungen betreiben, sprachen von einem „schwarzen Tag für die private Altenpflege“. Die Regierung schnüre den Betrieben die Luft ab, wenn sie Tariflöhne vorschreibe, ohne das unternehmerische Risiko zu vergüten. Verbands-Chef Bernd Meurer erklärte, trotz aller Beteuerungen würden pflegebedürftige Menschen die absehbar steigenden Kosten im eigenen Portemonnaie spüren.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hält die Lohnregelungen hingegen für missbrauchsanfällig und fürchtet Dumping-Tarifverträge. Das müsse verhindert werden, forderte Vorstandsmitglied Sylvia Bühler von den Fraktionen im Bundestag, die die Gesetzesvorlagen nun beraten und beschließen müssen. Bühler zeigte sich zutiefst skeptisch, ob die Pflegekräfte überhaupt Lohnerhöhungen erwarten können: „Die schlichte Frage, ob eine examinierte Altenpflegerin künftig mehr verdient als den Pflegemindestlohn, kann nicht beantwortet werden“, sagte sie.