Familien-Experte: Kinder nach Corona nicht mit Schulstoff überfordern

Familien-Experte: Kinder nach Corona nicht mit Schulstoff überfordern
30.05.2021
epd
epd-Gespräch: Bettina Markmeyer

Berlin (epd). Der Präsident der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie, Martin Bujard, warnt vor zu viel Druck auf Schulkinder beim Aufholen der Lernrückstände durch die Corona-Krise. Bujard sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), viele Kinder seien nach 15 Monaten Pandemie „seelisch fertig: Das Letzte was sie jetzt brauchen, ist noch mehr Druck.“ Deshalb müsse man sich zunächst darauf konzentrieren, die Kinder wieder stark zu machen, ihnen gute Erlebnisse zu ermöglichen und Lebensfreude zu vermitteln. „Wenn es Kindern schlecht geht, lernen sie auch nicht gut“, sagte Bujard.

Bujard, der dem evangelischen Familienverband (eaf) ehrenamtlich vorsteht und Forschungsdirektor im Bereich Familie am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung ist, erklärte, die psychischen Auswirkungen der Krise auf Kinder und Jugendliche seien gravierend. „Im Prinzip haben wir eine vierte Welle: eine stille Pandemie im Kinderzimmer.“

Den Kindern fehlten Entwicklungsmöglichkeiten, ihr Selbstwertgefühl leide. Vor allem fehlten ihnen die Kontakte zu Gleichaltrigen. Befragungen von Jugendlichen zeigten, dass hochgerechnet Hunderttausende junge Menschen im ersten Lockdown eine depressive Symptomatik entwickelt hätten. „Wir haben repräsentative Befragungen, wonach bei 1,7 Millionen Kindern zwischen 11 und 17 Jahren die gesundheitliche Lebensqualität infolge der Pandemie eingeschränkt ist“, sagte Bujard. Im ersten Lockdown seien es 40 Prozent in dieser Altersgruppe gewesen, im zweiten Lockdown schon 48 Prozent.

Zum Aufholprogramm des Bundes, der zwei Milliarden Euro für Nachhilfe und Freizeitaktivitäten zur Verfügung stellen will, sagte Bujard, das Paket habe zumindest beides im Blick, setze den Schwerpunkt aber beim schulischen Aufholen. Die öffentliche Debatte über Kinder und Jugendliche in der Pandemie mache ihm „ernsthafte Sorgen“, bilanzierte Bujard: „Es geht vorrangig um den Schulstoff mit einem defizitorientierten Blick auf die Kinder: Sie haben Lerninhalte verpasst! Sie müssen aufholen! Das verunsichert Kinder zusätzlich. Dabei haben sie doch viel geleistet und haben durch ihren Verzicht auf Bildung und Kontakte zu ihren Mitschülern Solidarität gegenüber den Älteren geübt.“