Frankfurt a.M. (epd). Die Diskussion über eine zeitweise Aufhebung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe gewinnt an Fahrt. Nachdem die USA eine Kehrtwende vollzogen haben und für eine Lockerung der Patentrechte plädierten, zeigt sich auch die EU offen für eine Neupositionierung, um einen weltweiten Impfschutz zu erreichen. UN-Generalsekretär António Guterres begrüßte den US-Vorschlag. Damit könnte die Impfstoff-Versorgung für ärmere Länder über die internationale Covax-Initiative beträchtlich vorankommen, betonte er am Donnerstag.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, Deutschland werde sich an der Diskussion über den Patentschutz beteiligen. „Wenn das ein Weg ist, der dazu beitragen kann, dass mehr Menschen schneller mit Impfstoffen versorgt werden, dann ist das eine Frage, der wir uns stellen müssen“, sagte er.
Zurückhaltender äußerte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). „Das Ziel des US-Präsidenten teilen wir ausdrücklich. Die ganze Welt mit Impfstoff zu versorgen, ist der einzig nachhaltige Weg aus dieser Pandemie“, sagte er. „Entscheidend ist vor allem der weitere Ausbau von Produktionsstätten. Zudem müssen die Staaten der Welt, in denen Impfstoff produziert wird, bereit sein, diesen auch an andere zu exportieren. Die EU ist dazu in Wort und Tat bereit. Wir freuen uns, wenn die USA es nun auch sind.“
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte in einer online übertragenen Rede, die EU sei „bereit zu diskutieren, wie der US-Vorschlag für eine Aussetzung des Schutzes geistigen Eigentums für Covid-Impfstoffe“ bei der Bewältigung der Krise helfen könne. Zugleich appellierte sie an alle Impfstoff-produzierenden Länder, Exporte zuzulassen und Maßnahmen zu unterlassen, die Lieferketten unterbrechen. Bisher sei die EU der weltweite Hauptexporteur von Vakzinen, mehr als 200 Millionen hier produzierte Dosen seien in Drittländer geliefert worden.
Am Mittwochabend hatten die USA klargemacht, dass sie die Forderung armer Länder nach einer Aussetzung des internationalen Patentschutzes auf Impfstoffe und Medikamente im Kampf gegen Covid-19 unterstützen. Die Welt müsse mit außergewöhnlichen Maßnahmen auf die globale Gesundheitskrise reagieren, erklärte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai in Washington. Die US-Regierung werde sich aktiv an den Gesprächen in der Welthandelsorganisation (WTO) beteiligen, um die Patentrechte auf Vakzine, Heilmittel und medizinische Ausrüstung vorübergehend aufzuheben, kündigte sie an.
Die WTO-Beratungen stecken seit Monaten fest. Mehr als 100 Staaten hatten sich hinter die Forderung von Südafrika und Indien gestellt, den Corona-Patentschutz auszusetzen. Damit sollen Impfdosen, Arzneien und Geräte auch in armen Ländern schnell und kostengünstig hergestellt werden können. Die meisten Industrieländer sperrten sich, um die Pharmaindustrie zu schützen und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen in die Forschung zu bewahren.
Nach Einschätzung von Diplomaten aus dem Umfeld der WTO in Genf verändert die neue US-Position die aktuellen WTO-Verhandlungen komplett. Die Verhandlungen in dem zuständigen Trips-Ausschuss (TRIPS = Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) der WTO dürften jetzt richtig Fahrt aufnehmen. Aber jedes der 164 WTO-Mitglieder hat ein Vetorecht. „Die Länder mit Pharmaindustrie werden natürlich versuchen, den Schaden für ihre Industrie so klein wie möglich zu halten“, hieß es.
Laut WTO-Fahrplan soll ein Entwurf erstellt und in der zweiten Hälfte des Monats Mai im Trips-Rat diskutiert werden. Zunächst gab es keinen offiziellen Kommentar der WTO. Vor der US-Ankündigung jedoch hatte die WTO-Generaldirektorin, die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala, noch einmal Druck auf die Länder mit Pharmaindustrie aufgebaut. Es sei die „moralische und ökonomische Frage unserer Zeit“, für alle Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu Corona-Impfstoffen zu schaffen.
Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, reagierte erfreut auf die Ankündigung USA. Er sprach von einem „monumentalen Moment“ im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Auch Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ und Amnesty International erneuerten ihre Forderung nach einer Lockerung des Patentschutzes. Dagmar Pruin, Präsidentin von „Brot für die Welt“, erklärte: „Deutschland sollte dem Beispiel der USA folgen und sich jetzt in der EU dafür stark machen, den Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe, Diagnostika und Therapien vorübergehend auszusetzen, damit weltweit Impfstoff produziert werden kann.“