Berlin (epd). Nach einer leidenschaftlich geführten Debatte hat der Bundestag am Mittwoch mit den Stimmen der Koalition eine bundesweit einheitliche "Corona-Notbremse" beschlossen. Die abschließende Beratung und Abstimmung wurde von Protest-Demonstrationen rund um das Regierungsviertel in Berlin begleitet. Die Änderungen am Infektionsschutzgesetz geben dem Bund die Befugnis, Kontaktbeschränkungen und Schließungen anzuordnen. Bislang sind die Bundesländer dafür zuständig. Besonders umstritten war erneut die nächtliche Ausgangssperre.
In Städten und Landkreisen, in denen binnen einer Woche 100 Ansteckungen oder mehr auf 100.000 Einwohner registriert werden, gilt demnächst eine Ausgangssperre zwischen 22 Uhr und 5 Uhr. Eine Ausnahme gibt es bis Mitternacht für Einzelpersonen, die zum Joggen oder Spazieren ins Freie gehen. Damit orientiert sich die bundesweite Regelung an den Vorschriften in Hamburg, die vor Gericht Bestand hatten. Die Opposition äußerte Zweifel, dass die Ausgangssperre dazu beitragen werde, die Infektionen zu senken. Die FDP-Fraktion kritisierte sie als unverhältnismäßig und kündigte eine Verfassungsbeschwerde an. Die Liberalen, die Linke und die AfD stimmten aus unterschiedlichen Gründen gegen das Gesetz, die Grünen enthielten sich.
Der Fraktionsvorsitzende der Union, Ralph Brinkhaus (CDU), warb zum Auftakt der Debatte eindringlich um Zustimmung. "Dieses Gesetz ist ein Gesetz für das Leben", sagte er und verwies auf die grundgesetzliche Verpflichtung, Leben und Gesundheit der Menschen zu schützen. Mit Blick auf die Vorgeschichte des Gesetzes sagte Brinkhaus, es respektiere den Föderalismus. Die Länder entschieden bis zu einer Inzidenz von 100, darüber gebe es nun bundeseinheitliche Regelungen. Das Bundeskabinett hatte den Entwurf vor einer Woche beschlossen als Reaktion darauf, dass die schon Anfang März von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene "Notbremse" bislang nicht konsequent umgesetzt wird.
Die AfD sah sich scharfen Angriffen aller anderen Fraktionen ausgesetzt. Sie hatte vergeblich versucht, die Abstimmung von der Tagesordnung absetzen zu lassen. Der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland bezeichnete das Gesetz als einen Angriff auf die Freiheitsrechte, den Föderalismus und den gesunden Menschenverstand. Er warf der Koalition vor, in der Pandemie-Bekämpfung versagt zu haben.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wies die Kritik der Opposition zurück und erklärte, die bundeseinheitlichen Regelungen sorgten künftig für "Klarheit und Konsequenz" überall in Deutschland. Er glaube, dass einheitliche Regeln dazu beitrügen, dass viele mitmachten, sagte Scholz. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb für die "Notbremse". Impfen und Testen allein reiche nicht, um die dritte Welle der Pandemie zu brechen, sagte er, auch wenn sich die Impfkampagne weiter beschleunige: Anfang Mai werde jeder Vierte geimpft sein, so Spahn.
Ausgangssperren brächten "zur Eindämmung des Infektionsgeschehens rein gar nichts", kritisierte hingegen die Gesundheitspolitikerin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus. Sie schränkten nur die Grundrechte ein. Die Koalition riskiere mit einem schlecht gemachten Gesetz einen weiteren Vertrauensverlust bei der Bevölkerung, warnte die FDP-Politikerin. Die Linke und die Grünen verlangten mehr verpflichtende Tests, schärfere Auflagen für Arbeitgeber und nachvollziehbare Regeln für Schulen.
Schulen müssen ab einer Inzidenz von 165 - also 165 Ansteckungen auf 100.000 Einwohner binnen einer Woche - den Präsenzbetrieb komplett einstellen. Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali, sagte, niemand könne verstehen, dass es bei einer Inzidenz von 100 Ausgangssperren gebe, aber Kinder weiter zur Schule gingen und in vollen Klassen säßen.
Die Regelungen zur "Corona-Notbremse" sind bis Ende Juni befristet. Sie sieht auch die Schließung von Geschäften, Kultur- und Sporteinrichtungen vor sowie die bereits bekannten Beschränkungen für private Treffen auf einen Haushalt und eine zusätzliche Person, wenn die Inzidenz an drei Tagen hintereinander über 100 liegt. An diesem Donnerstag muss das Gesetz noch den Bundesrat passieren.