Es war eine dieser Erfolgsgeschichten, wie es sie eigentlich nur noch im Silicon Valley gibt. Aber Wirecard war eine Firma aus der Nähe von München, und womöglich liegt darin der Grund, warum nicht genau hingesehen worden ist, weder von der deutschen Finanzaufsicht BaFin noch von der Bundesregierung. Die Kanzlerin machte sich selbst 2019 bei einer Reise nach China noch für das Finanztechnologie-Unternehmen stark, als Journalisten längst wussten, dass es beim unglaublichen Höhenflug des Konzerns nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.
Im Sommer 2020 kam es dann zum größten Finanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Absturz der Aktie brachte auch viele Kleinanleger um ihre Ersparnisse. Von solchen Schicksalen hat das Ehepaar Raymond und Hannah Ley schon einmal erzählt: Ihr Dokudrama "Lehman. Gier frisst Herz" (2018, ARD) schilderte, welche Folgen die Pleite der Bank für die "kleinen Leute" hatte, die zum Kauf von angeblich sicheren Lehman-Zertifikaten überredet worden waren.
"Der große Fake" konzentriert sich jedoch auf die Täter. Die Handlung setzt ein, als bereits die ersten Geier über Wirecard kreisen: Die Ungereimtheiten häufen sich, die negativen Schlagzeilen allen voran in der "Financial Times", die dem Unternehmen ab 2015 unter dem Titel "House of Wirecard" eine Artikelserie widmete, ebenso. Der Untergang zeichnet sich bereits ab; einzig Geschäftsführer Markus Braun ignoriert das Menetekel.
Christoph Maria Herbst erweist sich als ausgezeichnete Wahl für diesen vergeistigten Visionär, der sich gern als deutsche Antwort auf Apple-Guru Steve Jobs inszenierte: Er verkörpert den Mann als kühlen Technokraten. Der Zusammenbruch seines Lebenswerks lässt ihn zur tragischen Figur werden, zumal der Film offen lässt, ob er tatsächlich keine Ahnung hatte, dass die angeblich bei einer philippinischen Bank deponierte Rücklage in Höhe von 1,9 Milliarden Euro höchstwahrscheinlich nie existiert hat.
Allein diese Dramaturgie macht Braun natürlich zu einer interessanten Rolle, aber die ungleich schillerndere Figur ist der zweite starke Mann im Unternehmen. Das Drehbuch schöpft das Potenzial der Rolle von Jan Marsalek allerdings nicht mal annähernd aus; vielleicht, weil "Der große Fake" dann ein anderer Film geworden wäre.
Die Biografie des unmittelbar nach der Insolvenz untergetauchten Österreichers ist geradezu abenteuerlich. Trotzdem ist Franz Hartwig der zweite Volltreffer des Films. Der Schauspieler hat sich in den letzten Jahren mit zwei Schurkenrollen ganz nach vorn gespielt: als Mörder in der Sky-Serie "Der Pass" (2019) und als mutmaßlicher Entführer, der vom Täter zum Opfer wird, in dem zu Beginn des Jahres ausgestrahlten ARD-Zweiteiler "Feinde" nach Ferdinand von Schirach.
In "Der große Fake" ist Hartwigs Rolle ebenfalls zweigeteilt: Einerseits ist Marsalek der Strippenzieher im Hintergrund, der dem Unternehmen mit dubiosen und mutmaßlich nur auf dem Papier existierenden Geschäften überhaupt erst zum Höhenflug verhilft; andererseits führt er als eine Art Conferencier durch die Handlung, stellt einige der handelnden Personen vor und kommentiert die Ereignisse immer wieder mal in die Kamera, was aber wenig zur Wahrheitsfindung beiträgt ("Jetzt wird’s ernst!"). Hartwig hat zudem das nötige Charisma, um den Hedonisten Marsalek als keineswegs unsympathischen Menschenfänger zu verkörpern. Ansonsten beschränkt sich der Film auf Andeutungen, was seine illustren Geheimdienstkontakte oder seine bizarren Libyen-Pläne angeht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Es liegt auf der Hand, was Raymond Ley an diesem Stoff fasziniert hat. Der Autor und Regisseur ist im Genre des Dokudramas in seiner Liga mittlerweile fast konkurrenzlos. Sein letztes Werk war "Schuss in der Nacht" (2020, ARD), die fesselnde Rekonstruktion der Ermordung von Walter Lübcke, sein bestes "Eine mörderische Entscheidung" (über den Luftangriff in Kundus, Grimme-Preis 2014). "Eichmanns Ende" (2010) oder "Meine Tochter Anne Frank" (2014) sind ebenfalls mehrfach ausgezeichnet worden.
Der im Auftrag von RTL entstandene Film könnte sich allerdings als zu anspruchsvoll erweisen, weil er viel Wissen voraussetzt. Eingestreute Interviews und nachgestellte Gespräche mit Investoren, Unternehmern und ehemaligen Wirecard-Mitarbeitern werfen zum Teil sogar neue Fragen auf. Wichtigste Zeugin der Anklage ist nicht etwa ein Journalist oder eine Journalistin (die Zunft wird im Film von Nina Kunzendorf repräsentiert), sondern Fahmi Quadir. Die New Yorker Hedgefonds-Gründerin hat bereits 2018 öffentlich auf die kriminellen Machenschaften von Wirecard hingewiesen. Ihre komplexen Ausführungen bedürften jedoch auch einer inhaltlichen Übersetzung. Dass die Kamera sie beim Spaziergang mit Pudel begleitet, ist zudem pure Filmzeitverschwendung.
Die Gestaltung der Interviewszenen stört ohnehin mehrfach den Bilderfluss: mal versteckt sich die Kamera unmotiviert hinter Hindernissen, mal gibt es unnötige Nahaufnahmen gestikulierender Hände; ein typisches Merkmal zweitklassiger Reportagen, wenn ein Regisseur nicht immer bloß redende Köpfe zeigen will. Die Spielszenen sind allerdings sehenswert und mit Götz Schubert als Vorsitzender des Aufsichtsrats oder Andreas Guenther als breitbeinigem Wirecard-Repräsentanten auf den Philippinen treffend besetzt.
Davon abgesehen gebührt allen Beteiligten großer Respekt für die rasche Umsetzung des Stoffs, zumal unter Pandemiebedingungen; schließlich liegt die Insolvenzerklärung von Wirecard gerade mal acht Monate zurück.