Berlin (epd). Der Bund will Entscheidungen über Corona-Schutzmaßnahmen stärker an sich ziehen. Um unterschiedliche Reaktionen der Bundesländer auf hohe Infektionszahlen künftig zu verhindern, sollen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bundesweit einheitlich in einem Gesetz festgeschrieben werden. Die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Ulrike Demmer, teilte am Freitag in Berlin mit, dass sich das Bundeskabinett in einer vorgezogenen Sitzung am kommenden Dienstag mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes befassen wird. Konkret geht es um mehr Befugnisse des Bundes bei der Durchsetzung der sogenannten Notbremse. Eine für Montag geplante Runde der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde zuvor abgesagt.
Demmer sagte, die Idee sei, bundeseinheitlich zu regeln, "welche Beschränkungen zu ergreifen sind, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Landkreis über 100 liegt". Für diesen Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen hatten Bund und Länder Anfang März eine sogenannte Notbremse, also das Rücknehmen von Lockerungen, vereinbart. Diese Notbremse werde in den Bundesländern sehr unterschiedlich ausgelegt, sagte Demmer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Ende März in einem Interview in der ARD-Sendung "Anne Will" angedeutet, dass sie über eine Gesetzesänderung für mehr Befugnisse des Bundes nachdenkt.
Welche Maßnahmen konkret im Gesetz festgeschrieben werden sollen, sagte die Bundesregierung noch nicht. Denkbar wären Regelungen für die Schließung von Geschäften, Schulen und anderen Bereichen. Demmer betonte, die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, das vor allem Kompetenzen für den Bundesgesundheitsminister definiert, sei vereinbart mit den Ländern und geschehe in enger Absprache mit den Fraktionen im Bundestag, vorrangig denen der Koalition.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte kurz zuvor bei einer Pressekonferenz in Berlin gesagt, dass diese Änderung des Bundesgesetzes eine Option sei, um die vereinbarte Notbremse durchzusetzen. Gleichzeitig sagte er, "das wäre eine fundamentale Änderung", weil die Befugnisse für beschränkende Maßnahmen erstmalig auf Bundesebene lägen. Derzeit fallen Entscheidungen beispielsweise über die Schließung bestimmter Bereiche und Kontaktbeschränkungen in die alleinige Kompetenz von Ländern und Kommunen.
Demmer sagte, das geänderte Gesetz solle "so schnell wie möglich" inkraft treten. Gesetzgebungsverfahren dauern in der Regel mindestens mehrere Wochen, in Notfällen kann es per Fristverkürzung aber auch sehr schnell gehen. Der Bundestag kommt in der nächsten Woche wieder zusammen, der Bundesrat allerdings planmäßig erst wieder am 7. Mai. Auch die Länderkammer muss bei Gesetzen beteiligt werden, ob sie dezidiert zustimmen muss, blieb am Freitag ebenfalls noch offen.
Mit der Absage der Ministerpräsidentenkonferenz ist in den nächsten Tagen auch kein Beschluss für die in den vergangenen Tagen diskutierte Verschärfung des derzeitigen Lockdowns zu erwarten. Dabei schlagen Intensivmediziner und Robert Koch-Institut (RKI) Alarm. "Jeder Tag zählt", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx. Der wissenschaftliche Leiter des DIVI-Intensivregisters, Christian Karagiannidis sagte, einige Krankenhäuser seien bereits nicht mehr in der Lage, Covid-Intensivpatienten aufzunehmen.
RKI-Präsident Lothar Wieler sagte, die dritte Welle könne nicht mehr verhindert, aber abgeflacht werden. Unter Berufung auf Modellierungen sagte er, ein harter Lockdown werde für zwei bis vier Wochen gebraucht.