Am 19. Februar 2020 erschoss der psychisch kranke Tobias R. in Hanau neun Menschen aus Einwandererfamilien, anschließend tötete er seine Mutter und sich selbst. Der Attentäter sei aber kein Einzeltäter gewesen, sagte der Sozialpsychologe und Konfliktforscher Andreas Zick in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er sei bestens im Internet mit Verschwörungsgruppen, vor allem frauenfeindliche, sowie mit anderen Feindbildern vernetzt gewesen. Er habe sich Waffen beschafft und drei Monate vor der Tat eine Anzeige gestellt, die auf seinen Verschwörungsglauben hinweise.
Das Attentat von Hanau, aber auch der Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019, bei dem zwei Menschen starben, und der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke Anfang Juni 2019 hätten die deutsche Gesellschaft schwer erschüttert, sagte Zick, der das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld leitet. So sei etwa über Monate an die Taten erinnert worden.
Die Bundesregierung habe bereits im Herbst 2019 ein Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität beschlossen und zu dessen Umsetzung einen sogenannten Kabinettausschuss eingesetzt. Der Verfassungsschutz habe sich verändert, und die Rechtsprechung bei Hassreden und -taten sei verschärft worden. Trotz alledem könnten solche "dramatischen und verheerenden Attentate wie in Hanau" nicht hundertprozentig verhindert werden, sagte Zick. Denn hierzulande gebe es mehr als 30.000 Rechtsextremisten, von denen jeder zweite gewaltbereit sei. Hinzu kämen Zigtausende radikalisierte Personen in Verschwörungsgruppen, die "gewaltorientiert denken, fühlen und bisweilen handeln", sowie viele Menschen, die im Internet auf geschlossenen und kaum zugänglichen Foren gemeinsam Gewaltfantasien entwickelten.
Nach Beobachtung des Konfliktforschers hat der Rechtsextremismus "Nischen in unserer Gesellschaft gebildet und die Gefahr bleibt, dass sich die Nischen weiter professionell entwickeln wie auch Menschen aus der Mitte dort hineingezogen werden". Gleichwohl könnten Sicherheitsbehörden und Kommunen auch etwas dagegen tun, betonte Zick: etwa die Prävention und Intervention stärken, "funktionierende Konzepte besser austauschen, Fälle genau analysieren, um Früherkennungen zu ermöglichen".