Frankfurt a.M., Naypyidaw (epd). Knapp zehn Jahre nach Ende der Militärdiktatur in Myanmar hat die Armee erneut die Kontrolle über das Land ergriffen. Nach einem Putsch am Montagmorgen kündigte die Militärführung im eigenen Fernsehsender an, für ein Jahr die Macht zu übernehmen. In der Zeit gelte der Ausnahmezustand, danach solle es Neuwahlen geben. Zum Übergangspräsidenten ernannte die Armee den Ex-Offizier und Vizepräsidenten Myint Swe. Der Putsch wurde international verurteilt.
Die gestürzte Regierungspartei "Nationale Liga für Demokratie" (NLD) rief die Bevölkerung derweil auf, den Staatsstreich nicht zu akzeptieren und Widerstand zu leisten. Zuvor war bestätigt worden, dass De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi, Präsident Win Myint sowie weitere ranghohe Mitglieder der NLD festgesetzt wurden. Deutschland, die EU, die UN, die USA sowie Menschenrechtsorganisationen verurteilten den Staatsstreich scharf und forderten die sofortige Freilassung der Festgenommenen. Das Rathaus in der früheren Hauptstadt Rangun wurde besetzt, und Internet und Telefonleitungen offenbar auch in der Hauptstadt Naypyidaw lahmgelegt. Zudem gibt es Berichte, wonach Myanmar sämtliche Passagierflüge im Land annulliert habe.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, mit den militärischen Handlungen würden die bisher erreichten Fortschritte auf dem Weg zu einem demokratischen Wandel in Myanmar aufs Spiel gesetzt. Auch UN-Generalsekretär António Guterres nannte den Putsch einen schweren Rückschlag für den demokratischen Reformprozess. Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, sprach von "sehr verstörenden und empörenden Nachrichten". EU-Ratspräsident Charles Michel forderte, das Ergebnis der Wahlen von Anfang November müsse respektiert und der demokratische Prozess wieder hergestellt werden.
Das Militär müsse zur Kenntnis nehmen, dass es für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werde, darunter für Misshandlungen in Gewahrsam und exzessive Gewaltanwendung, erklärte der Vize-Asienchef von Human Rights Watch, Phil Robertson. Ähnlich äußerte sich die Aktivistengruppe "Justice for Myanmar": "Immer wieder hat die militärische Führung gezeigt, dass sie keine Beschützerin der Nation ist, wie sie behauptet, sondern stets darauf erpicht ist, ihre eigenen egoistischen Interessen zu wahren." Amnesty International sprach von einem bedrohlichen Moment" für die Menschen in Myanmar. Die "Gesellschaft für bedrohte Völker" bezeichnete den Putsch als "Katastrophe mit Ansage". Die frühere Demokratie-Ikone Suu Kyi habe vergeblich versucht, sich den Militärs anzubiedern.
Bereits seit Tagen hatte es Gerüchte über einen möglichen Putsch gegeben. Zuletzt hatte die Militärführung unter Armeechef Min Aung Hlaing versucht, diese zu entkräften, nachdem sich UN-Generalsekretär Guterres sowie diplomatische Vertretungen vorwiegend westlicher Staaten schon Ende vergangener Woche alarmiert über die politischen Spannungen geäußert hatten.
Das Militär hat das Ergebnis der Parlamentswahl vom 8. November nicht akzeptieren wollen, die die NLD klar gewonnen hatte. Unterlegene Konkurrenten, darunter auch die militärtreue USDP, sprachen von Wahlbetrug, ohne Belege dafür zu liefern. Die Wahlkommission hatte die Vorwürfe zurückgewiesen. Am heutigen Montag oder am Dienstag hätte das neue Parlament zu einer ersten Sitzung zusammenkommen sollen.
Myanmar (das frühere Birma) war 50 Jahre lang von wechselnden Militärs regiert worden. Auch nach der politischen Öffnung ab 2011 behielten die Streitkräfte eine dominierende Stellung in dem mehrheitlich buddhistischen Land. Die Verfassung von 2008, die auf Geheiß der damaligen Junta ausgearbeitet worden war, garantierte den Militärs unabhängig von Wahlen ein Viertel der Parlamentssitze. Damit hatten diese ein Vetorecht bei allen wesentlichen Entscheidungen. Zudem kontrollierten die Streitkräfte die drei Schlüsselministerien Inneres, Verteidigung und Grenzschutz.