Berlin (epd). Appelle gegen das Vergessen: Zum Holocaust-Gedenktag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gefordert, die Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten wachzuhalten. "Wir dürfen diese Menschen und ihre Schicksale niemals vergessen", sagte Merkel am Mittwoch in ihrem Grußwort für eine digitale Gedenkveranstaltung der Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken (IHRA), der UN und der Unesco: "Wir ehren die Opfer des Holocaust, indem wir ihrer gedenken und Lehren aus ihren Schicksalen ziehen." Das sei eine "immerwährende Verantwortung". In der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin forderten Charlotte Knobloch und Marina Weisband eine stärkere Achtsamkeit für alle Formen von Judenhass, die bis in die Mitte der Gesellschaft wirken.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief dazu auf, Antisemitismus und Rassismus in der Gesellschaft nicht zu dulden: "Ein jeder von uns ist aufgerufen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger vor Bedrohungen, Beleidigungen und Gewalt zu schützen. Nicht in Zukunft, sondern hier und heute, in dem Land, in dem wir gemeinsam leben." In einem Grußwort für eine gemeinsame virtuelle Gedenkveranstaltung des World Jewish Congress und der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau fügte er hinzu: "Wir müssen unsere Sinne wachhalten, Vorurteile und Verschwörungstheorien erkennen und ihnen mit Vernunft, Leidenschaft und Entschiedenheit entgegentreten."
Im Bundestag in Berlin verurteilte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Knobloch, Holocaust-Vergleiche bei den Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. "Wer Corona-Maßnahmen mit der nationalsozialistischen Judenpolitik vergleicht, verharmlost den antisemitischen Staatsterror und die Schoah", sagte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und erntete dafür Applaus aus weiten Teilen des Plenums.
"Passen Sie auf auf unser Land", forderte die 88-Jährige die Parlamentarier auf. Dabei betonte sie, dies explizit nicht an die "ganz rechte Seite des Plenums" zu richten. Dort sitzt die AfD, die Knobloch nicht namentlich erwähnte. "Sie werden weiter für Ihr Deutschland kämpfen, und wir werden weiter für unser Deutschland kämpfen", sagte sie. Berührend schilderte die 1932 geborene Knobloch in ihrer knapp 30-minütigen Rede, wie sie als jüdisches Kind in München die zunehmende Ausgrenzung unter den Nationalsozialisten erlebte. Sichtlich bewegt berichtete sie von der engen Beziehung zu ihrer Großmutter, die 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet wurde.
Die Publizistin Weisband sagte, Antisemitismus beginne mit Verschwörungserzählungen. "Wir können den Anfängen nicht wehren, weil es ein ständiger Prozess ist", sagte die frühere Netzpolitikerin, die 1987 in Kiew als Tochter jüdischer Eltern geboren wurde. Jüdin in Deutschland zu sein bedeute, die Schoah in sich zu tragen und mit den Traumata der Eltern und Großeltern zu leben. Anders als ihre Eltern und Großeltern gehofft hatten, könnten Juden in Deutschland nicht einfach als Menschen wie andere leben. Zum Gebet gehe sie durch Sicherheitskontrollen, sagte Weisband. Sie sei dankbar für diesen Schutz: "Aber es macht was mit uns."
Seit 25 Jahren erinnert der Bundestag rund um den 27. Januar mit einer Gedenkstunde an die Opfer der Judenverfolgung unter der Nationalsozialisten. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog hatte den Tag der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 im Jahr 1996 als Gedenktag proklamiert.
Im Beisein der Verfassungsorgane wurde in diesem Jahr nach der Gedenkstunde im Andachtsraum des Bundestags die Torarolle aus Sulzbach in der Oberpfalz, eine der ältesten Torarollen Deutschlands, mit den letzten acht Buchstaben vervollständigt. Die heilige Schrift, die in einem Versteck die Zeit des Nationalsozialismus überdauerte und 2015 wiederentdeckt worden war, wurde mit Unterstützung des Bundes aufwendig restauriert und soll künftig in der jüdischen Gemeinde in Amberg wieder für Gottesdienste verwendet werden.
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