Vechta (epd). Die Corona-Pandemie hat die Gesellschaft nach Ansicht des Psychologen Martin Schweer in eine Vertrauenskrise gestürzt. Der besorgniserregende Zulauf zu Verschwörungstheorien und den Demonstrationen der sogenannten Querdenker sei Ausdruck einer tiefen Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung, sagte der Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung an der Universität Vechta im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Diese Menschen betrachteten die Pandemie als eine diffuse Bedrohung, mit der sie auch angesichts widerstreitender Auffassungen in Politik und Wissenschaft nicht umgehen könnten. "Das sind sicherlich nicht alles verwirrte Menschen. Sie suchen nach Möglichkeiten, die verloren gegangene Sicherheit und Kontrolle wiederzuerlangen."
Grundsätzlich gebe es zwei Strategien des Umgangs mit einem solchen Jahrhundertereignis wie der Pandemie, erläuterte Schweer. Die meisten Menschen nähmen die Gefahr sehr ernst, betrachteten sie aber als Herausforderung. Sie hätten das Gefühl, sie selbst und die Gesellschaft könnten die davon ausgehende Gefahr trotz aller Schwierigkeiten durchaus bewältigen. Gerade in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft mit einer Flut von zum Teil widersprüchlichen Informationen sei es wichtig, Experten vertrauen zu können.
In der Corona-Pandemie werde derzeit allerdings offenbar, dass auch die Forscher, Ärzte und Behörden vieles nicht wüssten oder beherrschten, sagte der Universitätsprofessor für Pädagogische Psychologie. Es sei etwa nicht geklärt, wie die Ansteckungswege verliefen, wer warum schwer erkranke oder ob ein Impfstoff auch vor der Weitergabe der Infektion schütze. Wissenschaftler und Politiker stritten über die richtigen Strategien. Das alles schüre Verunsicherung und Ängste.
Wenn das Gefühl der Unsicherheit und des Kontrollverlustes übermächtig werde, suchten Menschen nach Alternativen. Sie fänden sie leicht bei denjenigen, welche die Gefahr leugneten oder einfache Antworten lieferten. Das Internet biete eine unerschöpfliche Quelle von Verschwörungstheorien, sagte der Psychologe. "Jeder kann alles ungeprüft verbreiten." In den sozialen Medien könnten diese neu gewonnenen Auffassungen im Austausch mit Gleichgesinnten verstärkt werden. Dort und auf Demonstrationen entwickle sich zudem ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Schweer forderte die etablierten Medien auf, mit seriöser Berichterstattung dagegenzuhalten. Zudem sei es wichtig, dass Anhänger von Verschwörungstheorien in ihrem sozialen Umfeld nicht ausgegrenzt würden. "Man sollte sie und ihre Argumente nicht gleich verdammen, sondern sich vielmehr um den Austausch mit ihnen bemühen."