Schwerte (epd). Die afghanische Staatsministerin für Menschenrechte, Sima Samar, warnt vor einem überstürzten Abzug der ausländischen Truppen aus ihrem Land. Der Rückzug der US- und anderer NATO-Truppen sollte wohlbedacht erfolgen, sagte Samar am Freitagabend bei einer Video-Tagung der Evangelischen Akademie Villigst im nordrhein-westfälischen Schwerte.
Während der innerafghanischen Friedensverhandlungen müssten die afghanischen Sicherheitskräfte unterstützt werden. "Sonst entsteht ein Vakuum", betonte Samar. US-Präsident Donald Trump hatte vor wenigen Tagen den Abzug von 2.000 der noch 4.500 US-Soldaten bis Januar angekündigt.
"Wir haben immer noch einen sehr aggressiven Konflikt, wir haben noch keinen dauerhaften Frieden", sagte die 63-jährige Ärztin und Politikerin. Sie nannte eine Waffenruhe, die Bekämpfung der Korruption und ein Ende der Straflosigkeit als zentrale Punkte eines Friedensabkommens mit den radikal-islamischen Taliban. Wenn es keine gute Regierungsführung gebe, begünstige dies die Taliban: "Wir brauchen die Herrschaft des Rechts statt der Herrschaft des Gewehrs."
Die Bevölkerung müsse an den Verhandlungen in Doha beteiligt werden, forderte Samar, die lange Leiterin der unabhängigen Menschenrechtsorganisation ihres Landes war und 2012 den Alternativen Nobelpreis erhielt. Es sei ein Fehler, dass bisher kaum etwas geschehen sei, um Kriegsverbrechen der Vergangenheit und heutige Menschenrechtsverletzungen zu ahnden. Die Opfer bräuchten Zugang zu Gerechtigkeit, ihr Leiden sollte anerkannt werden, wobei traditionelle Verfahren des Vergebens eine Rolle spielen sollten. Auch die Kriegs- und Drogenwirtschaft müsse bekämpft werden.
Seit September laufen in Doha erstmals direkte Friedensgespräche zwischen der Regierung und den Taliban. Allerdings stocken die Verhandlungen schon zu Beginn. Im Februar hatten die USA in einem Abkommen mit den Taliban zugesagt, sämtliche Truppen bis Ende April 2021 abzuziehen. Eine der Bedingungen ist ein innerafghanischer Friedensvertrag.