Berlin (epd). Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der Suizidassistenz durch Sterbehilfeorganisationen will die Konrad-Adenauer-Stiftung eine neue Diskussion über das Thema anstoßen. Mit dem Urteil werde eine "revolutionäre Wendung markiert", heißt es in einem Analysepapier der CDU-nahen Stiftung, das dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Geschrieben hat es die evangelische Theologieprofessorin Elisabeth Gräb-Schmidt. Sie fürchtet, dass diese Wende Gefahr laufe, "die Solidarität mit den Schwachen aus dem Blick zu verlieren".
Der stellvertretende Stiftungsvorsitzende Hermann Gröhe schließt sich der Sorge an. "Bei allem Respekt vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bin ich der Überzeugung, dass das dem Urteil zugrunde liegende Autonomieverständnis Gefahren für den Schutz schwächerer Menschen nach sich zieht", sagte er dem epd. Dafür brauche es Debatten. Gröhe, der für die CDU im Bundestag sitzt, sagte, es gehe sowohl um Fragen an den Gesetzgeber als auch um ein gesellschaftliches Klima. "Das entsteht nicht durch Gesetzesbeschluss, sondern durch eine öffentliche Debatte", sagte er. An dieser Debatte beteilige sich die Konrad-Adenauer-Stiftung aktiv.
In dem Papier problematisiert Gräb-Schmidt, dass das Bundesverfassungsgericht sein Urteil im Februar mit der durch das Persönlichkeitsrecht garantierten Selbstbestimmung begründete. Die Karlsruher Richter sind der Auffassung, dass dies auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und damit die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, einschließt. Gräb-Schmidt schreibt, diese Betonung der Selbstbestimmung verstehe die Freiheit und Würde des Menschen sehr abstrakt. Sie stellt in dem Papier das christliche Menschenbild gegenüber, nach dem der Mensch auch in seinem Bezogensein zu anderen verstanden werde.
Urteile des Bundesverfassungsgerichts stellten Weichen der öffentlichen Diskurse über Grundbegriffe des Lebens und tangierten damit die Wahrnehmung des Menschen, schreibt die Tübinger Professorin, die auch dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehört. Im abstrakten Verständnis von Selbstbestimmung sieht sie eine Gefahr für Schwache.
"Im Grunde geht es um die Frage, wie wir als Gesellschaft antworten, wenn sich ein Mensch das Leben nehmen will: Sagen wir 'Nun lass ihn doch', oder fragen wir sie oder ihn, wie wir helfen können, wieder Mut zum Leben zu finden", sagte Gröhe. "Wir wollen keine Gewöhnung an die Selbsttötungshilfe als Behandlungsmöglichkeit", ergänzte er. Zudem wolle er Menschen in einer besonders schweren Lage vor Erwartungsdruck von außen schützen. Selbstbestimmung und Schutz des Lebens müssten zusammen gedacht werden.
Gräb-Schmidt spricht sich in ihrer Analyse für ein legislatives Schutzkonzept in Reaktion auf das Urteil aus, das auf den Schutz vulnerabler Gruppen und die Richtung der öffentlichen Debatte achtet. Die Diskussion darüber wird im Parlament von einigen Abgeordneten geführt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) holte Stellungnahmen von Verbänden und Kirchen dazu ein.
Gröhe sagte, er sei für ein Schutzkonzept, "zu dem die Verstärkung von Maßnahmen zur Selbsttötungsprävention gehört". "Sinnvoll wäre es auch, in einem rechtlichen Rahmen Selbstbestimmtheit, Dauerhaftigkeit und Ernsthaftigkeit eines Sterbewunsches zu sichern und Selbsttötungshilfe auszuschließen, wenn der Sterbewunsch in einer seelischen Erkrankung begründet ist", ergänzte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar das 2015 verabschiedete Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Suizidassistenz für unzulässig erklärt. Der Gesetzgeber wollte damit die von Sterbehilfeorganisationen geleistete Hilfe zur Selbsttötung unterbinden. Bei der Suizidassistenz werden einem Sterbewilligen beispielsweise todbringende Medikamente überlassen. Das Verabreichen wäre Tötung auf Verlangen, die in Deutschland strafbar ist. Die Suizidassistenz ist dagegen legal.