Leipzig/Berlin (epd). Nach der eskalierten Anti-Corona-Demonstration in Leipzig ist die Debatte um Konsequenzen in vollem Gang. Kritik gibt es weiter am Beschluss des sächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG), die Demonstration in der Innenstadt zuzulassen. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will für künftige Versammlungen eine Teilnehmerbegrenzung. Derweil sehen die Grünen eine "Vertrauenskrise" der schwarz-grün-roten Koalition.
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) erneuerte am Dienstag seine Kritik an dem OVG-Beschluss, die Demonstration in der Innenstadt zuzulassen. Dem Deutschlandfunk sagte er, er warte bis heute auf eine Begründung. Erneut forderte Jung eine ethische Debatte über das Verhältnis des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit und jenem auf körperliche Unversehrtheit in der Pandemie. Die Kommunen fühlten sich alleingelassen, da Polizei und Behörden etwas durchsetzen müssten, das nicht zu Ende gedacht sei.
Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag), die schwierigen Abwägungen, die Politiker aktuell vornähmen, seien zuletzt von Gerichten wieder einkassiert worden. Da frage er sich manchmal: "Welchen höheren Kenntnisstand haben eigentliche solche Richter?"
OVG-Präsident Erich Künzler verteidigte die Bautzner Richter. Er sehe bei ihnen keine Anzeichen für eine "coronaskeptische Haltung", sagte er MDR Aktuell. Zugleich verwies er auf deren Unabhängigkeit. Ein OVG-Sprecher sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Urteilsbegründung solle noch am Dienstag veröffentlicht werden.
"In dieser Pandemie sind Kundgebungen in dieser Größenordnung unverantwortlich", sagte Ministerpräsident Kretschmer der "Sächsischen Zeitung" (Dienstag) und stellte eine Begrenzung von 1.000 Teilnehmern bei Versammlungen in Aussicht. Das ermögliche der Polizei auch, "die Auflagen durchzusetzen", sagte er.
Sachsens Grünen-Chef Norman Volger erklärte indes, die Ereignisse in Leipzig hätten das Vertrauen der Menschen "in die Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden gegenüber gewaltbereiten und rechtsextremen Menschen" infrage gestellt. Auch brauche Sachsen "eine politische Fehlerkultur und kein Ablenken oder Trotzreaktionen", ergänzte er in Richtung CDU.
Den Angaben zufolge werden sich am Donnerstag der Innenausschuss und der Rechtsausschuss im sächsischen Landtag bei einer Sondersitzung mit dem Leipziger Demonstrationsgeschehen befassen.
In Leipzig waren am Samstag Zehntausende Demonstranten einem bundesweiten Aufruf der "Querdenken"-Bewegung gefolgt, darunter Hooligans und Rechtsextremisten. Wegen der Missachtung von Abstands- und Maskenpflicht beendete die Stadt die Demonstration nach zweieinhalb Stunden. Später durchbrachen Teilnehmer eine Polizeisperre und zogen trotz Verbots ungehindert um und durch die Innenstadt. Beamte wurden verletzt, Journalisten attackiert. Das OVG hatte der Verlegung der Demonstration an den Stadtrand durch die Behörden widersprochen und sie auf dem zentralen Augustusplatz zugelassen.
Neben dem OVG war auch das Polizeikonzept in die Kritik geraten. Grüne und Linke forderten den Rücktritt von Landesinnenminister Roland Wöller (CDU). In einer ersten Reaktion am Sonntag hatte Wöller von einem "überwiegend friedlichen Verlauf der Demonstration" gesprochen und die OVG-Entscheidung als "unverantwortlich" kritisiert.