Göttingen (epd). Der designierte US-Präsident Joe Biden hat den Amtsinhaber Donald Trump nach Ansicht des Rhetorik-Forschers Heinrich Detering auch mit den Mitteln der Sprache geschlagen. Bidens Redeweise sei "als Gegengift gegen Trumps Formelsprache erstaunlich erfolgreich gewesen", sagte Detering dem Evangelischen Pressedienst (epd). Damit zeige sich in Trumps Wahlniederlage auch das letztliche Scheitern seiner hetzerischen Rhetorik. Während der republikanische Präsident die Diskussion von Positionen und Argumenten ersetze durch polemische Labels, die seine Gegner verunglimpfen, setze dessen gewählter Nachfolger "sehr beharrlich und geduldig auf eine Redeweise, die auf griffige Schlagworte weitgehend verzichtet".
Stattdessen verweise Biden immer wieder auf allgemeine moralische, politische und auch religiöse Grundpositionen, erklärte Detering, der sich unter anderem mit politischer Rhetorik befasst. Der "common ground" ("gemeinsame Nenner"), an den der Demokrat appelliere, sei auch der Grundzug seiner Redeweise, erklärte der Göttinger Literaturwissenschaftler. Damit habe Biden Erfolg, "weil es beruhigt und entspannt - und zwar schon in einem ganz wörtlichen, auf die Syntax bezogenen Sinne: Trump komprimiert, Biden entfaltet; Trump hetzt, Biden wägt ab."
Schon in der letzten Phase des Wahlkampfs habe sich beobachten lassen, "wie Trumps Redestrategien in Wanken gerieten", sagte der Forscher. Anders als bei seiner demokratischen Herausfordererin Hillary Clinton 2016, die er mit dem Attribut "crooked" ("verschlagen") herabsetzte, sei es Trump diesmal nicht gelungen, "Joe Biden nach dem bewährten Muster verächtlich zu machen". Keine der wechselnden Wendungen von "sleepy Joe" bis "crazy Joe" sei an dem demokratischen Herausforderer hängengeblieben.
Ähnlich sei es Trump mit den "Einsperren!"-Rufen gegangen, erklärte Detering: "Es wurden immer mehr Gegner, denen seine Sprechchöre das 'Lock him/her up!' nachriefen, damit wurde auch diese Waffe stumpf." Und schließlich sei es unfreiwillig komisch gewesen, dass der Präsident während der Stimmauszählungen zwei einander ausschließende Schlachtrufe, "Count the vote" oder "Stop he count!" vorgegeben habe, je nachdem, ob er vorn oder hinten lag. "Spätestens da war klar, dass er am Ende war", sagte er.
Mit Biden werde von Januar an wohl ein ganz anderer Sprachstil im Weißen Haus Einzug halten, erklärte der Wissenschaftler. Die Rhetorik des künftigen Präsidenten führe an sich selbst schon vor, was dieser inhaltlich verlange: "Die Suche nach gemeinsamen Grundlagen als Ausgangspunkt des Meinungsstreits, den Vorrang des Arguments vor der Polemik, das Beharren auf Ruhe und Geduld - auch wenn es auf Kosten des Unterhaltungsfaktors geht." Auch Bidens "relative Langeweile könnte deshalb politisch konstruktiv werden".