Scharfe Kritik an "Querdenken"-Demonstration in Leipzig

Scharfe Kritik an "Querdenken"-Demonstration in Leipzig
Tausende Demonstranten haben sich in Leipzig bei "Querdenker"-Protesten gegen die Anti-Corona-Maßnahmen über Auflagen hinweggesetzt. Die Polizei ließ sie gewähren. Daran gibt es scharfe Kritik. Ministerpräsident Kretschmer erwägt strengere Regeln.

Leipzig (epd). Trotz stark steigender Infektionszahlen haben in Leipzig Tausende Gegner der Anti-Corona-Maßnahmen demonstriert und dabei die Auflagen missachtet. Dabei kam es am Samstag auch zu Gewalt gegen Journalisten und Polizei. An den Protesten beteiligten sich auch Neonazis und Hooligans. Das sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hatte zuvor die Innenstadt für die Demonstration freigegeben. Justiz, Polizei und politisch Verantwortliche stehen nun in der Kritik, auch aus der Bundesregierung. Sachsens Landesregierung will über mögliche Konsequenzen diskutieren.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kritisierte die Vorgänge am Sonntag deutlich und forderte Aufklärung. "Die Angriffe gegen die Polizei und die Presse verurteile ich scharf", erklärte Lambrecht: "Die Verhöhnung der Wissenschaft und die rechtsextreme Hetze, die wir gesehen haben, sind abscheulich." Die Polizei müsse das staatliche Gewaltmonopol verteidigen und dürfe "marodierenden Gewalttätern nicht das Feld überlassen".

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, wer wie in Leipzig Mitmenschen gefährde, Polizisten und Journalisten angreife, rechtsextreme Hetze verbreite oder bei Gegendemonstrationen Barrikaden anzünde, verlasse den Schutzbereich des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Die sächsischen Grünen, die an der Landesregierung beteiligt sind, forderten den Rücktritt von Innenminister Roland Wöller (CDU).

Der Staat habe sich "am Nasenring durch die Manege führen lassen", kritisierte Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig (SPD): "Die Eskalation und das rücksichtslose Verhalten der sogenannten Querdenker sind erschütternd." Der Freistaat habe sich "mit Ansage vorführen lassen", kritisierte Sachsens zweiter Vize-Ministerpräsident Wolfram Günther (Grüne). Dulig kündigte an, die Vorgänge im Kabinett zum Thema zu machen.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte am Sonntag, das Demonstrationsgeschehen und die Gerichtsentscheidungen müssten ausgewertet werden. Auch eine Verschärfung der Corona-Verordnung werde erwogen. Wöller verteidigte das Vorgehen der Polizei und kündigte zugleich an, der Rechts- und Innenausschuss des Landtags werde sich mit den Ereignissen befassen.

Die Polizei sprach am Samstagabend von rund 20.000, die Forschungsgruppe "Durchgezählt" von rund 45.000 Teilnehmern, zugelassen waren laut OVG bis zu 16.000 Menschen. Journalistenverbände kritisierten zahlreiche Angriffe auf Medienschaffende. In der Nacht wurden laut Polizei im Stadtteil Connewitz mehrere Barrikaden angezündet. Die Polizei sprach am Sonntag von insgesamt 102 erfassten Straftaten, 13 vorläufigen Festnahmen und rund 140 Corona-Ordungswidrigkeiten. Sie ließ jedoch offen, wie viele davon die "Querdenken"-Demonstranten und wie viele deren Gegner betrafen.

In der Nacht zum Sonntag hatte die Polizei zunächst "mehr als 30 Straftaten" gemeldet. Es sei nicht gelungen, den Infektionsschutz zu gewährleisten. Dass nach der vom OVG zugelassenen Versammlung in der Innenstadt auch eine verbotene Demonstration auf dem Innenstadtring stattfinden konnte, begründete die Polizei mit der Übermacht der "Querdenken"-Demonstranten. "Es entstand großer Druck auf die Polizeikräfte, dem wir nur unter Einsatz von unmittelbarem Zwang standhalten hätten können", erklärte der Leipziger Polizeipräsident Torsten Schultze: "Damit stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Gewalt einzusetzen, war für uns nicht angezeigt."