München (epd). Die kognitiven Fähigkeiten des Menschen haben einer empirischen Studie zufolge in den vergangenen 100 Jahren zugenommen. Dem menschlichen Gehirn gelinge es heute besser als damals, Informationen wahrzunehmen und zu verarbeiten, teilte die Ludwig-Maximilians-Universität in München mit. Dies zeige die empirische Forschungsarbeit von drei Wissenschaftlern, darunter der Bevölkerungsökonomie-Professor Uwe Sunde. Die Studie belegt laut Mitteilung aber zugleich, dass die kognitive Leistungsfähigkeit ab etwa Mitte 30 stagniert.
Für ihr empirisches Modell griffen die Forscher auf Daten aus dem professionellen Schachspiel zurück, das laut Sunde "paradigmatisch für Kopfarbeit" ist. Datenbanken hätten sämtliche Turnierspiele der Schachweltmeister über die vergangenen 125 Jahre hinweg gespeichert. Vergleiche man die Schachzüge eines Spielers mit denen eines leistungsfähigen Schachcomputers, lasse sich daraus rechnerisch etwas über die kognitiven Fähigkeiten ableiten, hieß es.
Insgesamt seien Daten von gut 24.000 Schachpartien zwischen 1890 und 2014 mit mehr als 1,6 Millionen Zug-für-Zug-Beobachtungen verwendet worden. Anschließend wurden die Ergebnisse nach den Geburtsjahren der Weltmeister und ihrer Gegner gruppiert. Die Wissenschaftler kamen zu zwei Schlüssen: Erstens steige die kognitive Leistungsfähigkeit eines Menschen im Lauf seines Lebens an, um etwa ab Mitte 30 ein Plateau zu erreichen.
Zweitens habe sich dieses Altersprofil über die vergangenen 125 Jahre verändert: Die später geborenen Spieler seien im Durchschnitt kognitiv leistungsfähiger als die früher geborenen, was sich am höheren Anteil der optimalen Schachzüge ablesen lasse. Laut Sunde lässt diese Entwicklung darauf schließen, "dass die Rahmenbedingungen, unter denen wir aufwachsen, für die kognitive Entwicklung entscheidend sind". Dazu gehöre auch das technologische Umfeld. Wie sich die Kognition künftig entwickeln werde, darüber könne man anhand des Modells jedoch keine Aussage treffen, sagte Sunde.
Vorsichtig sollte man bei der Interpretation des Modells ab etwa 50 Jahren sein, sagte der Forscher. Ab einem gewissen Alter nähmen professionelle Schachspieler nicht mehr an öffentlichen Turnieren teil. Darum könnten sogenannte Selektionseffekte die Berechnungen verzerren. Gäbe es diese Einschränkung nicht, würde die Kurve der kognitiven Leistungsfähigkeit wahrscheinlich etwas stärker abfallen.