Karlsruhe (epd). Bei einem Asylantrag müssen Angaben des Flüchtlings über eine mögliche Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einem "Sklavenstamm" von den deutschen Gerichten geprüft werden. Anderenfalls wird der Flüchtling in seinem Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. (AZ: 2 BvR 854/20)
Im konkreten Fall ging es um eine alleinstehende Frau aus Mauretanien, die dem Volk der Peul angehört und im Dezember 2016 in Deutschland einen Asylantrag stellte. Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gab sie an, dass die mauretanische Gesellschaft ihren Stamm als "Sklaven" behandele. Sie sei an ihre Tante "verschenkt" worden, sei ohne Schul- und Berufsausbildung und könne dort ohne familiären Schutz nicht ihre Existenz sichern. Sie befürchte eine Verfolgung, weil sie sich in Mauretanien der Anti-Sklaverei-Organisation "IRA" angeschlossen habe.
Das Verwaltungsgericht Greifswald und das Oberverwaltungsgericht (OVG) Mecklenburg-Vorpommern gingen davon aus, dass bei der Frau keine Abschiebungshindernisse vorliegen. Sie könne mittlerweile etwas lesen und schreiben und habe als Küchenhilfe gearbeitet. Mit diesen Kenntnissen könne sie in Mauretanien überleben. Ihre Angabe, dass sie einem "Sklavenstamm" angehöre und ihr deshalb Verfolgung drohe, wurde nicht näher überprüft.
Doch damit wurde die Frau in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt, entschied das Bundesverfassungsgericht. Ihre Angabe, dass sie in Mauretanien als Sklavin angesehen werde, könne Auswirkungen darauf haben, dass sie im Falle einer Abschiebung ihre Existenz nicht sichern könne. Damit könne ein Abschiebungsverbot vorliegen. Mauretanien gehöre zu jenen Staaten auf der Welt, in denen Sklaverei "noch ein wesentliches, das Leben großer Bevölkerungsgruppen maßgeblich prägendes Problem darstellt". Daher hätte das OVG die Berufung zulassen und den Angaben über die Sklaverei nachgehen müssen.