Berlin (epd). Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sieht 30 Jahre nach der Wiedervereinigung eine gute Entwicklung beim Zusammenwachsen von Ost und West. "Die Mauer in den Köpfen gibt es nicht mehr - zumindest nicht bei den Menschen, die jünger sind als 45 Jahre", sagte Schäuble den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag). Zugleich appellierte er an die Westdeutschen, mehr Interesse zu zeigen an den Lebensleistungen der Menschen in Ostdeutschland und an der Geschichte der DDR. "Dann wächst im Osten auch das Selbstbewusstsein."
Auf die Frage, was die DDR in das wiedervereinigte Deutschland eingebracht habe, sagte Schäuble, der damals Bundesinnenminister war: "Menschen - mit all ihren Facetten." Eine gesellschaftliche Errungenschaft sei auch die veränderte Rolle der Frauen gewesen, die in der DDR schon in stärkerem Maße ins Berufsleben integriert gewesen seien. "Es gab dort bessere Möglichkeiten, Familie und Erwerbsarbeit zu verbinden - wenn auch staatlich vorgeschrieben."
Die Skepsis vieler Ostdeutscher gegenüber der Politik führte der CDU-Politiker unter anderem auf "Verletzungen aus unterschiedlichen Erfahrungen mit der Wiedervereinigung und ihren Folgen" zurück. Damals habe es etwa Mängel bei der Anerkennung der beruflichen Qualifikation von Menschen aus der DDR gegeben. "Wir haben die Fähigkeiten vieler Menschen unterschätzt, das hat sich sicherlich auf das Selbstwertgefühl der Ostdeutschen ausgewirkt."
Die Frage, ob Rechtsextremismus im Osten eine größere Herausforderung sei als im Westen, verneinte Schäuble. "Ganz ehrlich, die Integration der sogenannten Gastarbeiter haben wir im Westen auch nicht so toll hinbekommen", sagte der Bundestagspräsident. "Es gab ja nicht nur die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock, sondern mörderische Anschläge in Solingen und Mölln. Insofern gibt es keinen Grund, sich im Westen in irgendeiner Weise besser oder anständiger zu fühlen."