Berlin (epd). Sieben Monate nach dem rassistischen Anschlag von Hanau hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Angehörigen der Opfer seinen Beistand zugesichert. "Wir vergessen nicht. Wir dürfen nicht vergessen, und wir werden nicht vergessen", sagte er am Mittwoch im Berliner Schloss Bellevue bei einem Treffen mit den Hinterbliebenen. Steinmeier betonte: "Wir stehen an Ihrer Seite. Dieses Land - Ihr Land - steht an Ihrer Seite. Die Herzen unseres Landes sind Ihnen zugewandt."
Am 19. Februar dieses Jahres hatte ein 43-jähriger Mann im hessischen Hanau zwei Bars angegriffen und neun Menschen - acht Männer und eine Frau - mit ausländischen Wurzeln erschossen. Er und seine Mutter wurden später in ihrer Wohnung tot aufgefunden. Der Generalbundesanwalt sprach von einer "zutiefst rassistischen Gesinnung" des Täters.
Der Bundespräsident sagte, die Tat offenbare die "kalte und blinde Logik des Rassismus und aller anderen menschenverachtenden Ideologien". Er fügte hinzu: "Neun Menschen sind tot, weil ein rassistischer und rechtsextremistischer Attentäter in ihnen Ausländer sah." Der "Terror" sei aber nicht aus heiterem Himmel gekommen. Die Wurzeln des Rechtsextremismus "reichen tief in unsere Gesellschaft hinein". Das sei ein ernstes, ein drängendes Problem: "Das dürfen wir auch in Zeiten von Corona nie aus den Augen verlieren."
Steinmeier forderte von den Menschen in Deutschland eine klare Abgrenzung, "wo auch immer Rechtsextremisten aufmarschieren". Wer gleichgültig neben ihnen herlaufe, der mache sich mit ihnen gemein. Die Erinnerung an die Toten von Hanau "fordert und verpflichtet uns". Es sei die Pflicht des Staates und seiner Sicherheitskräfte, jeden Menschen im Land zu schützen, "unabhängig von seiner Herkunft, seinem Glauben, seiner Hautfarbe".
Stellvertretend für die Hinterbliebenen hielt Saida Hashemi, die Schwester des getöteten Said Nesar Hashemi, eine Rede. Eine solche Tat zeige, dass es in Deutschland noch einiges zu tun gebe, damit so etwas nicht wieder passiere. Gleichzeitig betonte sie, sie glaube an den demokratischen Rechtsstaat und an "die Werte, die er vertritt". Sie glaube auch daran, dass die schreckliche Tat lückenlos aufgeklärt werde. "Unsere Aufgabe ist es, unsere demokratischen Werte zu schützen", betonte sie. Sie bedankte sich für den Zusammenhalt, den sie in der Gesellschaft erfahren habe. "Wir sind nicht alleine, wir sind stark und halten zusammen."
Anschließend gab es für mehr als zwei Stunden private Gespräche der einzelnen Familien oder Hinterbliebenen jeweils mit Steinmeier sowie mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und dem Opferbeauftragten der Bundesregierung Edgar Franke. Anwesend war auch der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). Dieser hatte Seehofer vor dem Treffen aufgefordert, für eine lückenlose Aufklärung des rassistischen Anschlags zu sorgen. Kaminsky sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Mittwoch), die Familien müssten wissen: Wurden Fehler gemacht, hätte der Anschlag verhindert werden können?
An die Hinterbliebenen sind nach Angaben des Bundesjustizministeriums bisher Hilfeleistungen in Höhe von etwa 1,2 Millionen Euro gezahlt worden, mehr als 100.000 Euro an Verletzte. Die hessische Landesregierung hat ein "Sonderförderprogramm Hanau 2020" im Umfang von 600.000 Euro eingerichtet.
Steinmeier wird in den kommenden Wochen noch weitere Opfer von Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus treffen. Am Samstag hält er eine Ansprache bei der Gedenkfeier zum 40. Jahrestag des Oktoberfestattentats in München. Der Attentäter hatte im September 1980 aus rechtsextremistischer Motivation eine Bombe gezündet.
Am 9. Oktober nimmt der Bundespräsident zudem an einem Gedenken zum antisemitischen Anschlag in Halle teil. Dort waren im Oktober 2019 eine Frau und ein Mann von einem Täter erschossen worden, der ein Blutbad in der Synagoge geplant hatte.