Berlin, São Paulo (epd). Die Polizeigewalt in Brasilien hat auch während der Corona-Pandemie weiter zugenommen. Im ersten Halbjahr wurden landesweit 3.148 Menschen von Sicherheitskräften getötet, wie die Zeitschrift "Carta Capital" am Montag (Ortszeit) unter Berufung auf Daten der Universität São Paulo und des Brasilianischen Forums für Öffentliche Sicherheit berichtete. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der von Polizisten Getöteten damit um sieben Prozent.
In den ersten sechs Monaten wurden im Bundesstaat Rio de Janeiro insgesamt 775 Menschen durch Sicherheitskräfte getötet. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sank zwar damit die absolute Zahl (885 Tote), allerdings führt der Bundesstaat die Statistik von Polizeigewalt weiter an. Die Experten der Studie führten den Rückgang lediglich auf eine Anordnung des Obersten Bundesgerichts zurück, nach der Polizeieinsätze in Armenvierteln während des Lockdowns untersagt sind. Bei dieser Art von großangelegten Operationen kamen die meisten Menschen ums Leben, auch zahlreiche Kinder wurden durch Querschläger verletzt oder getötet.
Im Bundesstaat São Paulo erreichte die Polizeigewalt einen neuen Rekordwert. In den ersten sechs Monaten des Jahres wurden dort 514 Menschen und damit 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum getötet.
Die Studienautoren machten für die Brutalität der Sicherheitskräfte auch die Propaganda von Präsident Jair Bolsonaro verantwortlich, der Polizisten immer wieder zum Waffengebrauch anhält. Bolsonaro will zudem das Strafrecht ändern, so dass Polizisten, die im Einsatz Unschuldige töten, nicht verfolgt werden. Die Polizei sei seit dem Ende der Diktatur nicht mehr so ermutigt worden, Misshandlungen zu begehen, sagte der auf Menschenrechte spezialisierte Anwalt Ariel de Castro Alves dem Magazin. "Von einigen Gouverneuren, dem Präsidenten und einigen Parlamentariern geht ein klarer Anreiz für Polizeigewalt aus", betonte er.
Im Juni gab es trotz eines landesweiten Lockdowns in Brasilien Massendemonstrationen gegen die Gewalt der Sicherheitskräfte. Die Demonstranten protestierten gegen die Brutalität der Polizei und gegen damit verbundenen Rassismus. Denn 80 Prozent der Opfer von Polizeigewalt sind Afrobrasilianer.