Berlin (epd). Rund sechs Millionen Polinnen und Polen sind dem von den Nazis entfachten Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen: An den Überresten des im Krieg zerstörten Anhalter Bahnhofs in Berlin ist am Dienstag an sie erinnert worden. Bei der Gedenkstunde riefen die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), der Polen-Koordinator der Bundesregierung, Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), und weitere Vertreter von Politik und Gesellschaft zur Errichtung eines Denkmals für die polnischen NS-Opfer auf.
Der polnische Botschafter Andrzej Przylebski sagte, in Deutschland gebe es noch zu wenig Bewusstsein für die besondere Bedeutung der deutschen Besatzung Polens. So werde häufig noch immer der Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer von 1944 mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943 gegen die Deportation der Juden aus dem Ghetto durch die SS verwechselt. Eine Gedenkstätte, die Polen als erstes Opfer des Zweiten Weltkriegs würdige, sei auch deshalb wichtig.
Sie hoffe, dass es bald zu einer Einigung über das Denkmal kommt, sagte Süssmuth: "Wir sind auf einem guten Weg." Wichtig sei, dabei größtmögliche Einigkeit zu erzielen. Zunächst müsse über die Inhalte entschieden werden, dann über den Ort und die Gestaltung. Im Zweiten Weltkrieg sei es den Deutschen "um die Vernichtung Polens" gegangen, betonte Süssmuth und würdigte zugleich den Beitrag Polens zur deutschen Einheit.
Woidke erklärte, die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs müssten besser gewürdigt werden. Der 1. September 1939, an dem mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, sei für Deutschland ein "Tag der Schuld und der Scham", betonte Woidke anlässlich der Gedenkstunde des Deutschen Polen-Instituts. Dieser schmerzliche Teil deutsch-polnischer Geschichte müsse in Deutschland stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken.
Es dürfe niemals vergessen werden, "was damals an Leid über Polen gekommen ist", sagte Woidke bei der Gedenkstunde in Berlin. Es gebe so gut wie keine Familie in Polen, die nicht auf irgendeine Weise vom NS-Terror berührt worden sei. Dass dennoch heute wieder Normalität zwischen beiden Ländern herrsche, sei "alles andere als normal", sagte Woidke. Dieses "Wunder der Normalität" basiere darauf, "dass Polen uns Deutschen verziehen hat".
Es sei wichtig, die Erinnerung an die NS-Verbrechen an kommende Generationen weiterzugeben und zugleich die Bedeutung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten zu betonen, sagte Woidke. Dafür werde auch ein Gedenkort in Berlin als "Ort für die Zukunft unserer Völker" gebraucht, der die schmerzvolle deutsch-polnische in den Mittelpunkt stelle.
"Der 1. September 1939 steht als Mahnmal fest in der deutsch-polnischen Geschichte", erklärte Woidke: "An diesem Tag begann das nationalsozialistische Deutschland einen brutalen Angriffskrieg gegen den friedlichen polnischen Staat, gegen Polinnen und Polen." Unzählige Menschen seien ermordet, die Bevölkerung ganzer Landstriche vertrieben, Städte zerstört, ein Land verwüstet worden.