Kurschus: Flüchtlingskrise" hat Probleme und Chancen deutlich gemacht

Kurschus: Flüchtlingskrise" hat Probleme und Chancen deutlich gemacht
01.09.2020
epd
epd-Gespräch: Holger Spierig

Bielefeld (epd). Die sogenannte Flüchtlingskrise im Jahr 2015 hat nach Worten der westfälischen Präses Annette Kurschus sowohl verdrängte Probleme als auch Chancen deutlich gemacht. "Wer bisher gedacht hatte, ein Kontinent wie Europa und ein Land wie Deutschland könnten sich gewissermaßen 'wasserdicht' machen gegen die Not in der Welt und sich abschotten gegen alle, die dieser Not entfliehen wollen, wurde eines Anderen belehrt", sagte die leitende Theologin der viertgrößten Landeskirche dem Evangelischen Pressedienst (epd). Krisen öffneten die Augen "für Abgründe, die wir nicht sahen oder nicht sehen wollten".

Bei aller Kritik sollten laut Kurschus auch die positiven Auswirkungen in den Blick genommen werden. Die sogenannte Flüchtlingskrise habe vielerorts dazu geführt, klüger und besser zu werden, sagte die Präses, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Menschen seien motiviert worden, "sich persönlich einzusetzen und unser Land von seiner guten, seiner besten Seite zu zeigen". Auch in der Kirche sei seit 2015 neu entdeckt und danach gefragt worden, "wie plural und vielfältig der christliche Glaube in Deutschland und entsprechend auch unsere Evangelische Kirche längst schon ist".

Die große Zahl der Menschen, die innerhalb kurzer Zeit nach Deutschland kamen, habe die Kapazitäten von Verwaltungen und Behörden sowie das gesellschaftliche Miteinander auf harte Proben gestellt, räumte Kurschus ein. Nicht nachvollziehen könne sie jedoch, wenn von "Staatsversagen" oder von "einer Herrschaft des Unrechts" geredet werde. "Mich hat - im Gegenteil - beeindruckt, wie engagiert Politik und Gesellschaft, Kirchen und Flüchtlingsinitiativen in dieser Zeit zusammengewirkt haben", sagte Kurschus. Die Förderung der Sprachkenntnisse von Geflüchteten beispielsweise sei in diesen Jahren deutlich effizienter gelungen als bei früheren Zuwanderergenerationen.

Zugleich dürften Probleme nicht verschwiegen werden, sagte die leitende Theologin. "Zweifellos braucht Integration weiterhin einen langen Atem", unterstrich Kurschus. Aufgabe bleibe es, "Migration in unserem Land und auf unserem Kontinent nüchtern, optimistisch und mitmenschlich zu gestalten". Die Kirchen machten sich dabei für die Würde der geflüchteten Menschen stark, wiesen auf ihre Bedürfnisse wie auf ihre Begabungen hin, und stünden für Menschlichkeit ein. Das geschehe ebenso im Alltag vor Ort als auch "durch starke öffentliche Zeichen", etwa bei der Seenotrettung oder beim Kirchenasyl.