Hamburg, Gießen (epd). Der Betreiber der Internetseite babykaust.de darf die Schwangerschaftsabbrüche der Gießener Ärztin Kristina Hänel nicht mit dem Holocaust vergleichen. Außerdem muss er der Allgemeinmedizinerin 6.000 Euro Entschädigung zahlen. Ein entsprechendes Urteil verkündete am Montag die Pressekammer des Landgerichts Hamburg. (AZ: 324 O 290/19) Richterin Simone Käfer hatte während der Verhandlung am Freitag eine solche Entscheidung bereits angekündigt. Hänel hatte gegen den Betreiber von babykaust.de geklagt.
Weder der Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen aus Weinheim noch sein Anwalt waren zur Verhandlung erschienen. Daher erging ein sogenanntes Versäumnisurteil ohne schriftliche Entscheidungsgründe. Annen kann dagegen innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen.
Behauptet wurde auf babykaust.de unter anderem, dass Hänel mit ihren Abtreibungen das "Tor von Auschwitz" aufgestoßen habe. Auch wurde sie als "Entartete" diffamiert. Derartige Vergleiche sind laut Urteil unzulässig. Hinnehmen müsse Hänel als Meinungsäußerung allerdings Aussagen, dass an "ihren Händen Blut klebt" und Abtreibung ein "verabscheuungswürdiges Verbrechen" sei.
Der Vergleich von Schwangerschaftsabbrüchen mit dem Holocaust sei unzumutbar - sowohl für die betroffenen Frauen als auch für die Ärztinnen und Ärzte, sagte die Klägerin Kristina Hänel. Der Vergleich verhöhne die Holocaustopfer und deren Angehörige und sei nicht hinnehmbar. Die Ärztin begrüßte das Urteil auch im Zusammenhang mit ihrer Kritik am Paragrafen 219a ("Werbeverbot" zu Schwangerschaftsabbrüchen): "Es geht nicht, dass ein Staat sachliche Informationen von Fachleuten verbietet, die dringend benötigt werden, aber Fehlinformation, Hass und Hetze mit unzulässigen Holocaustvergleichen zulässt. Hier hat das Gericht heute eine deutliche Grenze gezeigt. Dafür bin ich dankbar."
Die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main begrüßte das Urteil gegen den Macher des Holocaust-relativierenden Internetprangers. "Wer Schwangerschaftsabbrüche mit der systematischen Verfolgung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus gleichsetzt und Ärztinnen und Ärzte mit faschistischen Mördern, muss gestoppt werden", sagte Direktor Meron Mendel. In der Szene der Abtreibungsgegner seien Geschichtsrevisionismus und Holocaust-Vergleiche beliebt, um Schwangerschaftsabbrüche zu skandalisieren, ungewollt Schwangere einzuschüchtern und Ärztinnen zu diffamieren. "Der Holocaust-Vergleich wird als kalkulierter Tabubruch kampagnenstrategisch eingesetzt - von Empathie mit den NS-Opfern keine Spur", sagte Mendel.
Der Abtreibungsgegner Annen hatte in der Vergangenheit mehrere Hundert Strafanzeigen nach Paragraf 219a gegen Ärzte gestellt, weil diese auf ihrer Internetseite über Schwangerschaftsabbrüche informierten. Auf babykaust.de hat er eine Liste mit 1.200 Abtreibungsärzten und -kliniken gestellt. Hänel war wegen Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft nach Paragraf 219a Strafgesetzbuch angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
epd lnh/lmw mih