Belege für Contergan-Experimente an Kindern aufgetaucht

Belege für Contergan-Experimente an Kindern aufgetaucht

Mainz (epd). Das für schwere Fehlbildungen bei rund 10.000 Babys verantwortliche Schlafmittel Contergan ist offenbar noch 1960 an Kindern gestestet worden. Das ARD-Politikmagazin "Report Mainz" hat bei Recherchen in mehreren Studien Hinweise darauf gefunden, dass Kindern im Alter zwischen zwei und 14 Jahren teilweise gezielt Überdosen des Medikaments verabreicht wurden. Die Experimente fanden demnach unter anderem in der Caritas-Lungenheilanstalt "Maria Grünewald" im rheinland-pfälzischen Wittlich an tuberkulosekranken Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet statt. Zum Zeitpunkt der Medikamententests habe es bereits zahlreiche Hinweise auf schwere Nebenwirkungen von Contergan gegeben.

Auch ein Kinderarzt aus Stuttgart soll das Beruhungsmittel zu Testzwecken Säuglingen verabreicht haben. Trotz intensiver Recherche fand die "Report Mainz"-Redaktion keine Unterlagen darüber, welche Kinder an den Tests teilgenommen haben. Hinweise darauf, dass das Einverständnis von Eltern eingeholt wurde, habe es ebenfalls nicht gegeben. Die Abschlussstudie zu den Untersuchungen in Wittlich vermerkte lediglich leichte Nebenwirkungen. Mögliche Langzeitfolgen bei den Kindern wurden offenbar nicht dokumentiert.

Der katholische Trierer Weihbischof und Vorsitzende des Caritasverbandes für die Diözese Trier, Franz Josef Gebert, sagte dem Magazin, man habe nichts von den Versuchen gewusst und sei erschüttert. Er versprach, die Geschehnisse aufzuklären und bat um Entschuldigung für "Fehler, die unter dem Namen der Caritas passiert sind." Auch der Contergan-Hersteller Grünenthal äußerte sein Bedauern. Aus heutiger Sicht seien Medikamentenstudien an Kindern nicht mehr nachzuvollziehen.

Das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan war von 1957 bis 1961 auf dem Markt. Bei der Zulassung des Medikaments war nicht bekannt, dass der Wirkstoff Thalidomid fatale Folgen für die Entwicklung von Embryos hat. Schwangere, die das rezeptfrei erhältliche Mittel auch gegen Übelkeit einnahmen, brachten Kinder mit schweren Missbildungen an Armen und Beinen zur Welt. Die Contergan-Affäre gilt als folgenschwerster Arzneimittelskanal in der Geschichte der Bundesrepublik.