Frankfurt a.M. (epd). Kurz vor dem ersten Freitagsgebet in der zur Moschee umgewandelten Istanbuler Hagia Sophia reißt die Empörung nicht ab. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), Erzpriester Radu Constantin Miron, kritisierte die Symbolpolitik des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dessen Entscheidung befriedige nicht religiöse Bedürfnisse, sondern innen- und außenpolitische Ambitionen Erdogans, erklärte Miron am Donnerstag in Frankfurt am Main. "Sie bedeutet das endgültige Ende einer säkularen, laizistischen, europäischen modernen Türkei." Am 24. Juli soll erstmals seit über 80 Jahren wieder ein muslimisches Freitagsgebet in der Hagia Sophia stattfinden.
Die Umwandlung gehe auch zulasten der christlichen Minderheit in der Türkei. "Ihr Schicksal kann und darf uns als Christen nicht gleich gültig sein", sagte Miron. Der Kölner Erzpriester, der der griechisch-orthodoxen Kirche angehört, ist seit April 2019 Vorsitzender der ACK, die rund 50 Millionen Christen in Deutschland repräsentiert.
Nach Überzeugung des Mainzer Religionshistorikers Mihai Grigore wurden durch die Entscheidung in der gesamten christlich-orthodoxen Welt alte Wunden aufgerissen. "Man kann sich die oströmische Christenheit ohne Hagia Sophia gar nicht vorstellen", sagte der Wissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die einst größte Kirche der Christenheit habe aus theologischer Sicht ihren religiösen Status bereits vor Jahrhunderten verloren, ihre Symbolkraft aber niemals eingebüßt.
Die im sechsten Jahrhundert errichtete Sophienkirche in Konstantinopel war 1453 von den siegreichen Osmanen zur Moschee umgebaut und 1934 unter dem türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk in ein Museum umgewandelt worden. Dessen Beschluss war am 10. Juli mit einem Urteil des türkischen Obersten Verwaltungsgerichts annulliert worden.
Erzpriester Miron verwies in seiner Stellungnahme auf zwei historische Aspekte. Die Hagia Sophia stehe als Symbol auch für die große Kirchenspaltung zwischen Ost- und Westkirche im Jahr 1054. Deshalb sei sie heute für alle, die in der Ökumene tätig sind, ein Mahnmal für die Wiederherstellung der Einheit der Kirche.
Außerdem bezog sich Miron auf das Datum des ersten Freitagsgebets, 24. Juli. Es handele sich dabei um den Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrages von Lausanne (1923), in dem auch die Rechte der nicht-muslimischen Minderheiten und die Verpflichtungen der Türkei, diese und ihre religiösen Einrichtungen zu respektieren, festgeschrieben wurden. In den vergangenen Jahren habe Erdogan diesen Vertrag immer wieder infrage gestellt.
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